Heilen, Lieben und Morden mit Pflanzen

Pflanzen begleiten die Menschheit seit jeher und nicht nur als Nahrung. Sie waren Gewürz und Arznei, belebten die Liebe, verlängerten oder beendeten irdisches Leben – je nach Pflanzenart, verwendeter Teile und Dosis. Über die Jahrhunderte hat sich ein reicher Schatz an Erfahrung und Wissen über Pflanzen, ihre Heilkräfte und Zubereitungen angesammelt, beispielsweise in den klösterlichen Kräutergärten und -büchern.

Auch heute sind pflanzliche Stoffe aus der medizinischen Versorgung nicht wegzudenken. Sie stehen dabei im kulturellen Kontext zwischen traditioneller Volksheilkunde, Komplementärmedizin und naturwissenschaftlich geprägter Phytotherapie. Die Sonderausstellung "Sonnenhut und Engelwurz. Heilen, Lieben und Morden mit Pflanzen" porträtiert ausgewählte Heil-, Gewürz-, Gift-, Liebes- und Zauberpflanzen und spannt dabei den Bogen von der Botanik zur Kulturgeschichte, von der Naturwissenschaft zum Sagenhaften, von der Blüte bis zur Wurzel und vom Teebeutel bis zum Medikament.

Moderne Pflanzenheilkunde bedeutet nicht, dass man an die Wirkung glauben muss. Die verschiedenen Pflanzeninhaltsstoffe, bei der Kamille beispielsweise über 50, sind weitgehend analysiert und ihre biochemischen Reaktionen untersucht. Sie greifen tief in unseren Stoffwechsel ein. Zahlreiche Studien zeigen, dass die in den Pflanzen vorhandenen Wirkstoffkombinationen wirksamer als einzelne isolierte Wirkstoffe sein können. In der Ausstellung werden deshalb einzelne Heilpflanzen zusammen mit den heute verwendeten Pflanzendrogen und aktuellen Medikamenten präsentiert, von rezeptpflichtigen Arzneimitteln über homöopathische Urtinkturen bis zum Kräutertee.

Das Wissen über die Pflanzen ist einerseits in den kunstvoll, aber naturgetreu illustrierten Kräuterbüchern aus dem 16. und 17. Jahrhundert überliefert. Andererseits spielte die mündliche Überlieferung gerade in der Volksmedizin eine wesentliche Rolle. Pflanzengeschichten wurden von Generation zu Generation weitergegeben, wahre Begebenheiten bekamen im Laufe der Zeit eine neue, fast sagenhafte Gestalt. Diese Tradition greift die Ausstellung mit Hörstationen auf, worin einzelne Pflanzen in ihrer ganzen Fülle porträtiert werden.

Die schreienden Alraunen sind dank Harry Potter jedem Kind bekannt. Diese sind keine Erfindung der Autorin, sondern basieren auf alten Überlieferungen. Ausgangspunkt ist die menschenähnliche Wurzel. Da die Alraune als mächtige Zauberpflanze galt, waren spezielle Vorsichtsmassnahmen notwendig, um die Exklusivität zu wahren, was aber gleichzeitig Fälscher auf den Plan rief. Die Zauberkräfte der Alraune wurden auch zur Abwehr der Pest genutzt, wie ein Zauberring aus der historischen Sammlung des Museums zu Allerheiligen zeigt, der vermutlich aus Alraunenwurzeln gefertigt ist. Auch die Engelwurz und weitere aromatisch duftende Pflanzen galten als wirksames Mittel gegen eine Pesterkrankung. In der Region Schaffhausen wurden auch Wacholder und Steinsame zum Schutz vor bösen Mächten genutzt, wie die Ausstellung zeigt.

"Er liebt mich, er liebt mich nicht, …" Wer hat nicht schon die Blütenblätter einer Margerite ausgezupft, um mit dem Blumenorakel einen Einblick in sein zukünftiges Liebesleben zu erhaschen. Während sich dieser Brauch bis in die heutige Zeit gehalten hat, ist die florale Sprache weitgehend verarmt. Die Symbolik von Rosen und Vergissmeinnicht sind zwar noch nicht vergessen, wie aber steht es mit Gänseblümchen, Flieder oder Jasmin? Worin liegt der Unterschied zwischen weissen, gelben und roten Tulpen? Rezepte zur Steigerung der Liebeslust oder der Potenz fehlen in der Ausstellung, dafür wird das Keuschlamm in der Ausstellung präsentiert sein. Eine Pflanze, die der Enthaltsamkeit innerhalb der Klostermauern dienlich gewesen sein soll.

Während in den übrigen Themeninseln der Ausstellung Sonnenhut und Engelwurz mehrheitlich europäische Pflanzen im Fokus stehen, öffnen die Gewürzpflanzen das Tor zur Welt. Mit der Entdeckung neuer Kontinente und Handelswege kamen exotische Düfte in die einheimischen Küchen. Die Dosis macht nicht nur das Gift, sondern ebenso aus einer Heilpflanze ein Gewürz. Im Lorscher Arzneibuch, einem medizinischen Kompendium des 8. Jahrhunderts, finden sich zahlreiche Universalheilmittel. Mit wenigen Ingredienzien lassen sich Unsterblichkeitsmittel und als "Gottesgeschenke" betitelte Rezepte mischen. Heute noch gibt es diese Lebenselixierpflanzen, die sich je nach Person unterscheiden. Für die einen ist es der Ginseng, für andere der Cacao und für viele der Kaffeestrauch. Im Mittelalter galt auch die Engelwurz als Lebenselixier, womit sich der Bogen schliesst.

Sonnenhut und Engelwurz
Heilen, Lieben und Morden mit Pflanzen
21. August 2011 bis 18. März 2012