Hagen Rether in Trier - Hagen oder UnbeHagen?

8. September 2010 Rosemarie Schmitt
Bildteil

Das Mosel Musikfestival ist über die Grenzen hinaus bekannt durch außergewöhnlich gute klassische Konzerte. Sie kennen doch dieses Festival. Am 11. August erst berichtete ich darüber, und wer weiß, möglicherweise sind wir uns ja auch am 27. August begegnet, ohne es zu wissen. Doch auf dem Programm des Mosel Musikfestivals stand nicht etwa ein klassisches Konzert, sondern eine Sternstunde des Kabaretts.

Um genau zu sein, waren es drei Sternstunden. Das Konzert im Innenhof des Kurfürstlichen Palais in Trier sollte, so angekündigt, bei ungünstiger Witterung in der Europahalle stattfinden. Die Witterung war ungünstig. Also plauderte Hagen Rether nicht open air, sondern alternativ closed hall über Liebe.

Leider hat die Europahalle ihre besten Jahre schon längst hinter sich gelassen, und so war nicht nur die Witterung an diesem Abend sehr ungünstig. Spinnweben, lose Wandverkleidungen. Gut, Trier ist mehr als 2000 Jahre alt und hat in dieser Richtung einiges zu bieten, aber verpuppte Mumien irgendeiner Insektenspezies gehören doch nicht wirklich in Konzerthallen. Aber was solls, man saß trocken. Und um ehrlich zu sein wäre ich bereit gewesen, mich in eine Spelunke zu setzen um Rethers Auftritt zu sehen und zu hören. Wahrscheinlich wußte das auch der Veranstalter.

Bislang kannte ich Hagen Rether nur aus dem Fernsehen und der Presse. Für mich gibt es derzeit keinen besseren Kabarettisten. Seine charmanten Plaudereien, seine subtile Art, seine Seelenruhe, und sein intelligenter Witz sind unübertroffen. Nie sah ich ihn anders, als in dunklem Anzug mit weißer Weste, oder war es ein Hemd? Sein langes schwarzes Haar zu einem Zopf gebunden, die langen Beine übereinandergeschlagen, dem Publikum zugewandt auf dem Klavier spielend, böse Sachen sagend. Sein stets gepflegtes Äußeres, das Innere nicht ganz so propper, und sein ebenmäßiges, bartloses Gesicht, alles in allem eine angenehme Erscheinung. Eine Sahneschnitte eben, wie Frau von heute gerne sagt. Ja, so sah ich ihn, und dann betrat er die Bühne der Europahalle!

Der Anzug hell, das Haar etwas kürzer, der Zopf leicht ergraut und ein bis zur Hälfte zugewachsenes Gesicht. Im Gegensatz zu den meisten seiner Witze trägt Rether jetzt einen Bart. Aber, was reg ich mich auf? Alles doch nur Äußerlichkeiten, denn sein Auftritt war aller erste Sahne!

Hagen Rether ist von Hause aus Pianist. Zum festen Bestandteil seiner Auftritte gehört ein Konzertflügel und hin und wieder auch ein Baseballschläger. Statt des Baseballschlägers hatte er sich für Bananen entschieden, der Konzertflügel stand zwar da, doch bedauerlicherweise war der so verdreckt, daß Rether vor lauter Putzen erst am Ende dazu kam, einige Minuten zu spielen. Schade. Ich bin nicht ganz sicher, ob es tatsächlich Teil des Programms war, und der Flügel beabsichtigt so voller schmieriger Spuren von was weiß ich denn war. Vor Jahren besuchte ich in der damals noch recht jugendlichen Europahalle ein Konzert der großen Montserrat Caballe, und da sah der Konzertflügel nämlich genau so aus. Außer dem Flügel, dem Pianisten und der Solistin war nichts auf der Bühne zu sehen. Nicht einmal ein Blumenarrangement. Nichts. Seit dem weiß ich, was fremdschämen bedeutet. Aber, was reg ich mich auf.

Liebe, der Titel ist Programm für Hagen Rether. Und das aktuelle Programm ist bereits die dritte Liebe. Ich kann verstehen, weshalb er so daran festhält und sich erfolgreich weigert, dies zu ändern, denn kein Motto würde besser passen. Daß Rether ein sehr gebildeter Mensch ist steht außer Frage. Und wissen Sie, was ich glaube? Er ist ein großer Freund Freuds, und fast könnte man glauben, Freud wäre Rether begegnet, und die beiden hätten gemeinsame Sache gemacht. Für wen sonst, verfaßte Sigmund Freud denn die Abhandlung "Das UnbeHagen in der Kultur"? Nachtigall, ick hör dir poltern! Ja, das müssen Sie doch mal hören und sehen, dann vergeht Ihnen möglicherweise sogar beides!

Hagen Rethers Kulturprogramm heißt also Liebe, und was reimt sich denn besser auf Liebe als Triebe? Das Thema von Freuds Abhandlung ist im Wesentlichen der Gegensatz zwischen der Kultur und den Triebregungen. Er sagt, die Kultur sei bestrebt, immer größere Einheiten zu bilden, und dazu schränke sie die Befriedigung sexueller und aggressiver Triebe ein; einen Teil der Aggression würde so in Schuldgefühle verwandelt. Auf diese Weise sei die Kultur, so Freud, eine Quelle des Leidens, und ihre Entwicklung führe zu einem wachsenden UnbeHagen. Des einen Freud, des anderen Leid!

Also, außer meinen Lachmuskeln waren Unbehagen und Schuldgefühle nach dem Besuch von Hagen Rether bei mir ganz deutlich zu spüren. Was immer Rether auch sagt, wie zuckersüß und leise und allerliebst er es auch immer formuliert, es trifft! Es trifft zu und ins Herz. Man fühlt sich beim Heucheln erwischt und beim Nichthinsehen ertappt. Und man lacht, sei es, weil man über genügend Humor verfügt über sich selbst zu lachen, oder aus Verlegenheit. Rether sagte: "Das Einzige, was man niemals verlieren sollte ist der Humor. Und so kam es ja dann auch!"

Sie haben den Eindruck, es habe mir nicht gefallen? Oh, dem ist ganz gewiß nicht so! Hagen Rether und sein Programm sind phantastisch! Jederzeit wieder! Aber Rether ist alles andere als oberflächlich und sein Humor tiefgründig. Nicht umsonst sagt er häufig während seines Auftrittes: "Ach, was reg ich mich auf. Das ist nicht lustig." Ist es auch irgendwie nicht. Oder doch? Hagen Rether ist kein "Gutmensch", aber er ist gut, Mensch! Sollte Sie es nicht zu einem seiner Konzerte schaffen, die CDs (Vertrieb WortArt) sollten Sie sich in jedem Fall anhören - http://www.wortart.de/wortart/kuenstler/rether.php Soviel Liebe muß einfach sein!

"Die Aggression wird von der Kultur nicht einfach unterdrückt. Sie verwendet einen Teil der unterdrückten Aggression, um eine für die Kultur wichtige Größe zu erzeugen: das Gewissen!" Das ist, was Sigmund Freud schreibt, und Hagen Rether auf der Bühne beweist. Und das macht Hagen Rether für mich zu einer wichtigen Größe unserer Kultur!

Besser kann UnbeHagen sich wirklich nicht anfühlen!

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt