Guerre en forme

Raum, so die Soziologin Martina Löw, ist eine relationale (An-)Ordnung sozialer Güter und Lebewesen an Orten. Die Platzierung dieser Güter und Lebewesen ist durch Regeln festgeschrieben, durch Ressourcen gesichert und in Institutionen gelagert. Räumliche Strukturen sind dabei Teil gesellschaftlicher Strukturen und ermöglichen Handeln ebenso, wie sie es einschränken.

Was uns daran interessiert: Bauen, Errichten, Vermessen und Markieren sind Aushandlungsprozesse. Die Erlanger Ausstellung "Guerre en Forme" widmet sich der Konstitution von Räumen und deren Verhandelbarkeit; der herrschenden Ordnung als vorläufigem Ergebnis von Auseinandersetzungen zwischen Kontrahenten.

Die brutalste Form von Auseinandersetzung um Raum und Ressourcen ist der Krieg. In der Folge des Dreißigjährigen Kriegs, dessen Chaos konfessioneller Konflikte die Bevölkerung ausblutete, entstand der Kabinettskrieg oder Guerre en Forme. Im Kontrast zum Kampf zwischen Feinden bis zur gegenseitigen Vernichtung basiert der Guerre en Forme auf der Kontroverse zwischen zwei sich anerkennenden Souveränitäten. Es ist ein Krieg nach Regeln, in klaren Formen, in abgegrenzten Gebieten und daher bis zu einem gewissen Grad eingehegt. Berufssoldaten ersetzten das Söldnerheer, Depots entlang von Marschrouten machte Plünderungen hinfällig. Oft genügte es, den Gegner durch geschicktes Manövrieren von seinen Nachschublinien abzuschneiden. Belagerungen, zuvor meist der blutigste Teil eines Kriegs, reduzierten sich auf ein formvollendetes Spiel: Man näherte sich den nach Regeln der Geometrie und Mathematik erbauten Festungen mit ebensolcher Präzision, brachte die Batterien in Stellung und führte dem Kommandanten vor Augen, dass er nach den Regeln Euklids besiegt sei. Diese geometrische Übung erlaubte es den Verteidigern, die Festung zu übergeben, ohne Leben und Gesicht zu verlieren. Mit fliegenden Bannern marschierte die besiegte Garnison heraus, empfangen von einer Ehrengarde der Eroberer, worauf die Kommandanten Höflichkeiten austauschten. – Krieg als intellektuelle Herausforderung.

Nach dem Dreißigjährigen Krieg verödete Erlangen. Einen neuen Impuls gab erst die Gründung der Neustadt 1686, die mit dem zeittypischen Guerre en Forme die abgezirkelte Geometrie und die Überzeugung der Planbarkeit von Prozessen gemein hatte.

Das ist die kontextbezogene Folie der Ausstellung, vor der wir Paradigmenwechsel von öffentlichem Raum, sowie Möglichkeiten der Aneignung und Nutzung urbaner Territorien betrachten. Die titelgebende zentrale Arbeit bezieht sich auf den Grundriss der Planstadt Erlangen. Sie nutzt ihn als Feld für choreographische Notationen und zirkelt ein mögliches Spielfeld für Auseinandersetzungen ab. In den kleineren, kabinettartigen Räumen des Erdgeschosses und in den Kellergewölben mit ihren narrativen Atmosphären stellen die Künstler aktuelle Projekte vor, die sich auf andere Städte beziehen: auf São Paulo und die brasilianische Hauptstadt Brasília, das neue Hafenviertel Bjørvika in Oslo, die Elbinsel Veddel in Hamburg, auf Heterotopien in Kopenhagen und Berlin. Hier entwickeln wir Planspiele zum Städtebau, Szenarien zur Besetzung von Orten, Strategien der (Um-)Etikettierung und Umnutzung von Raum und diskutieren die Rollen von Bewohnern und Publikum als Akteuren der polis.

Dellbrügge & de Moll - Guerre en forme
6. August bis 26. September 2010