Grünewald und seine Zeit

Matthias Grünewald (1475/80–1528), einem der großartigsten, geheimnisvollsten und wirkmächtigsten Künstler der europäischen Kunstgeschichte um 1500 widmet die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe vom 8. Dezember 2007 bis 2. März 2008 eine Große Landesausstellung. Mit rund 160 Werken ermöglicht die Ausstellung eine Zusammenschau seines singulären Schaffens mit Arbeiten anderer hochrangiger Künstler jener Epoche und eröffnet damit einen neuen Blick auf die anrührend expressive Qualität von Grünewalds Werk und auf dessen wegweisende künstlerische Erneuerungskraft.

Grünewald (eigentlich Mathis Gothardt Neithardt) war in Aschaffenburg, Mainz und Halle tätig und arbeitete unter anderem für Kardinal Albrecht von Brandenburg – übrigens nicht nur als Maler, sondern auch als "Wasserkünstler". Seine Biographie liegt zu weiten Teilen im Dunkeln. Von den wenigen erhaltenen Werken des Meisters – bekannt sind lediglich rund 25 Einzelkompositionen und etwa 35 Zeichnungen – besitzt die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe allein vier Gemälde und darüber hinaus die Zeichnung eines gekreuzigten Christus. Damit verfügt sie über den bedeutendsten Bestand an Gemälden Grünewalds in einem deutschen Museum.

Die beiden großformatigen (195,5 x 142,5 cm), um 1524 entstandenen Tafeln des Tauberbischofsheimer Altars mit der Darstellung der Kreuztragung und der Kreuzigung Christi wurden 1900 von Hans Thoma für die Kunsthalle erworben. Im Jahr 1971 konnte Jan Lauts zwei Grisaillen (1509/11) mit der Darstellung der heiligen Elisabeth und einer heiligen Märtyrerin des Frankfurter Heller-Altars der Sammlung hinzufügen. Diese Werke bilden die zwei Säulen des Ausstellungskonzepts. Zwölf weitere Arbeiten des Meisters aus Aschaffenburg, Basel, Berlin, Coburg, Frankfurt am Main und Oxford werden in Karlsruhe zusammengeführt und Gemälden und Graphiken unter anderem von Albrecht Dürer, Albrecht Altdorfer, Hans Burgkmair, Hans Baldung Grien, Lucas Cranach d.Ä, Hans Holbein d.Ä, Hans Holbein d.J. und dem Meister H.L. aus internationalem Museums- und Privatbesitz gegenüberstellt.

Die Ausstellung "Grünewald und seine Zeit" beleuchtet, wie Grünewald die schon Anfang des 15. Jahrhunderts in den Niederlanden zu einer frühen Blüte gebrachte Ton-in-Ton-Malerei einsetzte und variierte. Den Auftakt der Schau bildet eine Sensation: Erstmals seit ihrer Trennung im 18. Jahrhundert werden die beiden Karlsruher Heiligen-Grisaillen des Heller-Altars mit ihren im Frankfurter Städel befindlichen Pendants mit der Darstellung der männlichen Heiligen Cyriakus und Laurentius öffentlich vereint zu sehen sein. Der Frankfurter Kaufmann Jakob Heller gab das Retabel 1507 bei Albrecht Dürer in Auftrag, der die Mitteltafel schuf. Nach 1509 wurde es von Grünewald um die beiden Standflügel ergänzt. Neben Gemälden fand die Grisaille-Malerei auch in gehöhten Zeichnungen, Clair-obscur-Drucken, Scheibenrissen und Glasfenstern um 1500 in der deutschen Kunst ihren verwandelten und großartigen Widerhall. Im ersten Sektor der Ausstellung werden deshalb weitere Werke verschiedenster Gattungen gezeigt, die vom inhaltlichen Facetten- und formalen Nuancenreichtum der Ton-in-Ton-Malerei zeugen.

"Grünewald und seine Zeit" widmet sich auch dem bewegenden Thema der Passion Christi, das der Künstler wiederholt mit bis heute bezwingender, dramatisch wirkender Intensität und einer teilweise kühnen Innovationskraft ins Bild setzte. Seine Werke reflektieren nicht nur die zeitgenössische Passionsfrömmigkeit, eine Umbruchphase der Religions- und Geistesgeschichte, über die diese Ausstellung auch anhand von Passionstraktaten, Gebetbüchern und Meditationsschriften Aufschluss gibt, sondern sie wurden zu zeitlosen Inbildern existenziellen Leidens, die Menschen seit Jahrhunderten ergreifen. Erstmals seit seiner Spaltung im 19. Jahrhundert wird das Retabel des "Tauberbischofsheimer Altars" wieder in einer dem Originalzustand nahen Aufstellung gezeigt – beide Tafeln werden Rücken an Rücken präsentiert. Sie bilden das Zentrum einer ausführlichen Darstellung des Passions-Themas.

Die Ausstellung gewährt im letzten Teil einen hochinteressanten Einblick in den Verlauf der durch ausführliche Forschungen vorbereiteten, akribischen Restaurierungsarbeiten der "Kreuztragung" des Tauberbischofsheimer Altars, die vor einigen Jahren begonnen wurden und wohl noch einige Jahre andauern werden. Die teilrestaurierte Tafel lässt schon heute erahnen, dass manche Details von Grünewalds hoch differenzierter Malkunst Jahrhunderte lang unter Verschmutzungen und Retuschen verborgen waren, dass die originale Farbigkeit von weit höherer Strahlkraft und Brillanz war, als es der uns bisher bekannte Zustand annehmen ließ.


Grünewald und seine Zeit
8. Dezember 07 bis 2. März 08