Goldener Bär für "Tropa de Elite"

17. Februar 2008
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Die Überraschung ist der von Constantin Costa-Gavras geleiteten Jury zweifellos gelungen: Dass der brasilianische Polizistenthriller "Tropa de elite", dem von einigen Seiten faschistoide Tendenz unterstellt wird, den Hauptpreis gewinnen würde, haben wohl nur die wenigsten erwartet. – Entdeckungen wie Fernando Eimbckes "Lake Tahoe" oder Lance Hammers "Ballast" wurden dagegen mit Nebenpreisen abgespeist oder gingen leer aus.

In Brasilien hat sich José Padilhas "Tropa de Elite" sofort nach Kinostart zum Kassenschlager entwickelt. Die Schilderung des Kampfes einer Eliteeinheit der Polizei von Rio de Janeiro gegen den Drogenhandel wollte sich kaum jemand entgehen lassen. – Box-Office-Hit spricht aber nicht unbedingt für große Filmkunst und solche liegt auch bei Tropa de Elite" kaum vor. Schwindlig macht den Zuschauer die nervöse Handkamera, die wohl die Anspannung der Polizisten, vor allem ihres Anführers, der mit seinem Kommentar durch den Film leitet, vermitteln soll. Diese Perspektive hat dem Film auch den Vorwurf des Faschismus eingebracht, denn Padilha schwört den Zuschauer auf diese Kampftruppe ein, zeigt aber auch schonungslos deren schikanöse Ausbildung und Foltermethoden. – Dies hat wieder Protest bei der realen Elitetruppe hervorgerufen, der allerdings inzwischen abgeflaut sein soll. – Durch den mit hektischem Kameragewackel und nervösem Schnitt erzeugten pseudodokumentarischen Stil allein entsteht aber noch kein Kunstwerk, sondern nur ein oberflächlicher Reißer, der weder die Problematik differenziert beleuchtet noch über eine wirklich überzeugende Dramaturgie verfügt und jede Leerstelle mit lauter Musik zukleistern muss, um seine Schwächen zu kaschieren.

Auch überraschend, aber immerhin noch diskussionswert ist die Vergabe des "Großen Preises der Jury" an Errol Morris´ Dokumentarfilm über die Folterungen von Abu Ghraib ("S.O.P. – Standard Operating Procedure"). "There Will Be Blood" - der hohe Favorit und der überragende Film des Wettbewerbs – wurde dagegen mit dem Regiepreis für Paul Thomas Anderson abgespeist. Bei der Vergabe des Preises für den besten männlichen Darsteller griff man wohl angesichts der Tatsache, dass man "There Will Be Blood" nicht einen weiteren Preis zuerkennen wollte auf den Iraner Reza Najie zurück, der in Majid Majidis "The Song of Sparrows" einen liebenswerten Familienvater spielt.

Vertretbar ist auch die Auszeichnung von Sally Hawkins als beste Darstellerin für ihre Verkörperung der immer gut gelaunten Lehrerin in Mike Leighs "Happy-Go-Lucky". Dennoch hat die Jury damit übersehen, welch herausragende Leistung Kristin Scott Thomas in Christophe Claudels "Il y a longtemps, que je t´aime" vollbringt. Wie sie in diesem Drama, das immerhin mit dem Preis der ökumenischen Jury ausgezeichnet wurde, mit minimalen Mitteln, wunderbar zurückhaltend die langsame Öffnung einer nach 15 Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassenen Frau spielt, ist zweifellos ganz große Kunst.

Kleine Filme hatten es bei dieser Jury überhaupt schwer: "Nur" den "Alfred Bauer-Preis" und dazu immerhin den Preis der Filmkritiker (Fipresci) gab es für Fernando Eimbckes minimalistischen "Lake Tahoe" und Lance Hammers lakonischer und spröder, aber mit Fortdauer an Wärme und Sanftheit gewinnender "Ballast" ging überhaupt leer aus. Und dabei war dieser in der rauen und vegetationsarmen Landschaft des winterlichen Mississippi-Deltas spielende Film einer der Höhepunkte der letzten Festivaltage: Wie sich hier langsam aus einzelnen Szenen eine Geschichte herauskristallisiert und nicht nur die Bilder und Momentaufnahmen, sondern auch die Menschen zueinander finden, wie da einer wortkarg und ohne jede Musik von Trauma, Aggression und Frustration – viel zu schwere Worte für diesen leisen Film - erzählt und zeigt, wie die Verkrustung und Isolation langsam aufgebrochen werden und ohne Happy End, aber mit der Hoffnung, dass es besser weiter geht, endet, das ist so unspektakulär wie bewegend und unabhängiges US-Kino von der besten Sorte. - Länger im Kopf des Zuschauers und in der Filmgeschichtsschreibung werden Eimbckes und Hammers kleine Perlen haften bleiben als Padilhas jetzt ausgezeichneter Thriller.