Glanzvolle Musicals, düstere Melodramen: Vincente Minnelli

Der 1903 geborene Vincente Minnelli führte das Hollywood-Musical in den 1940er Jahren mit fulminanter Farbdramaturgie und brillanter Choreographie zu einem Höhepunkt. Weniger bekannt sind im Vergleich mit seinen Meisterwerken in diesem Genre wie "Meet Me in St. Louis" (1944) oder "An American in Paris" (1951) dagegen Minnellis Komödien und Melodramen. Das Filmfestival von Locarno widmet dem 1986 verstorbenen großen Hollywoodregisseur seine heurige Retrospektive.

Gegensätzliche Strömungen gehören im Hollywood-Kino untrennbar zusammen. Wie Anfang der 30er Jahre zugleich mit dem Gangsterfilm die Musicals von Busby Berkeley entstanden, so erlebte in den 1940er Jahren als Gegenpol zum düsteren Film noir das Musical eine zweite glanzvolle Blüte. Auf Schwarzweiß und Fatalismus im Film noir antwortete man hier mit farbenprächtigen Traumwelten.

Vincente Minnelli wurde ins Milieu der Shows und des Theaters hinein geboren. Schon mit acht Jahren trat er in der Truppe seines Vaters, der "Minnelli Brothers Dramatic Tent Show" auf. Schon früh zeigte er als Gehilfe eines Werbeplakatmalers ein Gespür für Farbgestaltung, das seine späteren Filme kennzeichnen wird. Mit 16 brach er die Schule ab, wurde bald Bühnenbildner, entwarf Dekorationen zu Revuen in der New Yorker Radio City Music Hall, deren künstlerischer Leiter er 1933 wurde.

Ab 1935 inszenierte Minnelli Musicals am Broadway, bis er 1940 von MGM nach Hollywood zu einem zweijährigen Studienaufenthalt eingeladen wurde. Nach kleineren Regieaufträgen drehte er 1942 mit "Cabin in the Sky" seinen ersten eigenen Spielfilm. Bei dieser noch in schwarzweiß gedrehten Geschichte um einen afroamerikanischen Spieler, der auf Bitten seiner Frau von Gott noch eine Chance erhält, aber vom Teufel wieder auf die Probe gestellt wird, bewies Minnelli schon sein Gespür für die Einbettung der Gesangs- und Tanznummern in die Handlung.

Als Meister der Farbdramaturgie erwies er sich dann mit der um 1900 angesiedelten Familiengeschichte "Meet Me in St. Louis" (1944) und mit dem Piratenfilm "The Pirate" (1948), in denen er souverän Gesangs- und Tanznummern mit der Handlung verknüpfte. Dass Minnellis Inszenierungsstil auch bei Geschichten, die in der Gegenwart spielen, funktioniert, belegte er mit "The Clock" (1945), in dem er von einem Soldaten erzählt, der sich während eines zweitägigen Urlaubs in New York verliebt.

Störte hier freilich der reale Kriegshintergrund die märchenhafte Stimmung, so fühlte sich Minnelli in der Künstlerwelt – und künstlichen Welt - von "An American in Paris" (1950) ganz zu Hause. Das mit acht Oscars ausgezeichnete Musical erzählt im Kern zwar eine einfache Liebesgeschichte, aber die mitreißende Choreographie Gene Kellys und die überschäumende Inszenierung mit einer Farbdramaturgie, die sich an den Farben französischer Impressionisten orientiert, machen diesen Film zu einem zeitlosen Meisterwerk.

In seiner eklektizistischen Grundhaltung bedient sich der Amerikaner bei der Kunst der Jahrhundertwende, die er mit der modernen Großstadt verbindet. Knallige Farben und "melodiöse Kamerabewegungen" (David Thomson), spektakuläre Kulissen und Kostüme bieten hier Schaugenuss pur.

Mit der Adaption eines schottischen Märchens in "Brigadoon" (1953) sowie dem im Orient spielenden "Kismet" (1955) versuchte Minnelli an den Erfolg von "An American in Paris" anzuknüpfen, konnte aber erst mit "Gigi" (1958), seinem letzten Musical, einen ähnlichen Erfolg landen. Die im Paris der Jahrhundertwende spielende Geschichte eines Mädchens, das zur Mätresse erzogen werden soll, aber das Herz des Bewerbers bewegt, wurde sogar mit neun Oscars ausgezeichnet.

Im Vergleich zu den Musicals werden Minnellis Komödien und Melodramen zu Unrecht vielfach zu wenig beachtet. Während er mit den Familienkomödien "Father of the Bride" (1950) und "Father´s Little Dividend – Ein Geschenk des Himmels" (1951) gewissermaßen an "Meet Me in St. Louis" anknüpfte, sind seine Melodramen von deutlich schwererem Gewicht.

Mit "The Bad and the Beautiful" (1952) und "Two Weeks in Another Town" (1962) gelangen ihm ebenso zwei herausragende Selbstporträts Hollywoods wie mit dem Van Gogh-Film "Lust for Life" (1956) ein grandioses Künstler-Biopic. Während er in letzterem wiederum mit fulminanter Farbdramaturgie sowie einem großartigen Kirk Douglas in der Hauptrolle tief in die Welt Van Goghs eindringt und dessen Suche nach Wahrheit und Vollkommenheit bis hin zum psychischen Verfall eindringlich nachzeichnet, werden in "The Bad and the Beautiful" und "Two Weeks in Another Town" mit beeindruckender Ambivalenz Glamour und zerstörerische Kraft der Filmmetropole Hollywood beschworen.

Als Höhepunkte in diesem Genre gelten aber die Ende der 50er Jahre entstandenen "Some Came Running – Verdammt sind sie alle" (1958) und "Home from the Hill – Das Erbe des Blutes" (1959), in deren Mittelpunkt verzweifelte Männer stehen. An die Stelle der Kleinstadtidylle in "Meet Me in St. Louis" rückt hier eine beengende Provinz und die Schilderung von Verlierern, die dieser Enge nicht zu entkommen vermögen.

Mit dem Niedergang des alten Hollywood und der Studio-Ära endete auch Minnellis Karriere, der 1976 mit "A Matter of Time" seinen letzten Film drehte. Dabei arbeitete er nicht nur das einzige Mal mit seiner Tochter Liza zusammen, sondern passend zum Titel brachte dieser Film auch das Leinwanddebüt von Isabella Rossellini an der Seite ihrer Mutter Ingrid Bergman (in ihrer vorletzten Kinorolle) sowie Charles Boyers letzte Rolle.

Trailer zu "An American in Paris"