12. Mai 2013 - 2:43 / Ausstellung 
25. Januar 2013 19. Mai 2013

Ab Januar 2013 ermöglicht die Hamburger Kunsthalle einen neuen Blick auf die Kunst von Alberto Giacometti (1901-1966) und macht dabei deutlich, warum das Werk des bedeutendsten Bildhauers des 20. Jahrhunderts bis heute wegweisend ist. Dafür werden erstmals überhaupt Giacomettis in Deutschland kaum bekannte surrealistische Frühwerke zum Ausgangspunkt genommen und ihre Folgen für das gesamte, berühmte Nachkriegswerk aufgezeigt: In den fragilen Unikaten aus Holz, Marmor und Gips der 1930er Jahre richtet Giacometti die Skulptur horizontal aus und entwickelt mit diesen tischbrettgroßen "Spielfeldern" das bis in die heutige Kunst reichende Konzept der "Skulptur als Platz".

Die Ausstellung verfolgt diese Idee über die bekannten Sammelskulpturen der Nachkriegszeit, mit ihrer typisch überlängten Formensprache, bis hin zu Giacomettis spektakulären überlebensgroßen Skulpturen für seine Gestaltung des Vorplatzes der Chase Manhattan Bank in New York von 1960. Die teils fast drei Meter hohen Figuren bilden im Spätwerk wie in der Ausstellung den Höhepunkt der Suche nach einer idealen Platzgestaltung zwischen Kunst und Leben. Das Projekt für die Chase Manhattan Plaza wird vollständig in seiner Modell- sowie in seiner monumentalen Version gezeigt: mit den weltberühmten Figuren "Schreitender Mann II" (1959-60), "Große Stehende II" (1960) und "Großer Kopf" (1960). Mit diesem Werkkomplex wird der Boden der Galerie der Gegenwart zur Spielfläche und die Ausstellung zum Träger des zentralen Themas der Schau, nämlich zum inszenierten Spielfeld für die Besucher selbst.

Der neuartige, themenspezifische Werküberblick legt erstmals offen, wie sehr Werk und Sockel, Präsentiertes und Präsentationsform bereits in den surrealistischen, so genannten Spielbrett-Skulpturen ineinander fallen und sein ganzes Oeuvre bestimmen. Entscheidend wird die bedeutungsvolle Positionierung der einzelnen, geheimnisvoll auf Eros, Tod und Erinnerung anspielenden Elemente. Bislang kaum bekannte Zeichnungen aus Privatsammlungen eröffnen zudem eine bisher unentdeckte, weitergehende Wahrnehmung: Giacometti zeichnet winzige menschliche Figuren in die Spielflächen und macht deutlich, dass die Skulpturen als Modelle auf große öffentliche Platzgestaltungen verweisen. Hier sollte der Betrachter in aktiv-handelnden, körperlichen Austausch mit der Kunst treten. Die tischbrettgroßen "Spielfelder" sind somit als Experimentierfelder für größenmaßstäbliche, den Menschen einbeziehende Platz-Realisierungen zu verstehen. Damit nimmt Giacometti die "Environment"-Kunst der 1960er Jahre voraus, in denen die Umgebung zum Teil des Werkes wird.

Keines der frühen wie späteren Schaumodelle wurde endgültig als öffentliche Platzgestaltung umgesetzt. Giacometti vergrößerte aber einzelne Elemente für sich selbst und umgab sich über Jahrzehnte damit in seinem winzigen Pariser Atelier, das "mit der Zeit immer größer wurde" (Alberto Giacometti). Ihre bedeutungsvollen, wie in einem Gedächtnistheater arrangierten Platzierungen auf dem Atelierboden hielt er sorgsam fest. Die Ausstellung ermöglicht mit zahlreichen Gemälden, Zeichnungen und Photographien aus verschiedenen Schaffensperioden teils bisher ungesehene Einblicke in diesen außergewöhnlichen Produktions- und Präsentationsort. Denn auch das Atelier war Giacomettis "Spielfeld": Es wurde zur Bühne, auf welcher der Künstler sich selbst und seine Schöpfungen inszenierte. Dieser zu Recht zum Mythos gewordene Arbeitsraum wird in seiner räumlichen Gedrängtheit und zugleich ideellen Bedeutung in der Ausstellung erstmals erlebbar.

Die groß angelegte Schau umfasst über 200 ausgewählte Werke. Darunter befinden sich 40 zum Teil bislang kaum ausgeliehene Holz-, Marmor-, Gips- und Bronzeskulpturen sowie rund 30 Ölgemälde, zudem Zeichnungen und Photographien aller Werkphasen aus internationalen Museen und Privatsammlungen. Präsentiert wird so die ganze Spannweite und Aktualität von Giacomettis Kunst: Innerhalb der Formensprache von der Blockhaftigkeit zur fragilen Entmaterialisierung, innerhalb der Raumauffassung vom winzigem Produktionsort zum inszenierten Präsentationsort und innerhalb des Skulpturenbegriffs vom individuellen Objekt zum architekturbezogenen, überlebensgroßen "Environment".

Giacometti - Die Spielfelder
25. Januar bis 19. Mai 2013

Hamburger Kunsthalle
Glockengießerwall
D - 20095 Hamburg

W: http://www.hamburger-kunsthalle.de/

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