Gerhard Richter in der Fondation Beyeler

Gerhard Richter (*1932, lebt und arbeitet in Köln) gehört zu den bedeutendsten Künstlern unserer Zeit. In den sechzig Jahren seiner künstlerischen Tätigkeit hat er ein OEuvre hervorgebracht, das sich durch thematische und stilistische Vielfalt auszeichnet. Die Fondation Beyeler widmet ihm nun die bisher grösste Ausstellung in der Schweiz. Sie rückt dabei erstmals seine Serien, Zyklen und Räume in den Vordergrund des Interesses. Damit wird gerade einem bisher wenig beachteten Aspekt seines Schaffens besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Seit den 1960er Jahren hat Richter neben dem Einzelwerk stets auch mit Serien gearbeitet. Dies gilt für seine frühesten fotorealistischen Gemälde ebenso wie für die abstrakten Bilder, seine Arbeiten mit Spiegeln und Glas oder auch jüngst die 2013 entstanden Zyklen mit Digitaldrucken. Zugleich hat Richter sich von Anfang an ebenso für die Präsentation seiner Kunst und ihr Verhältnis zur Architektur interessiert und mehrfach auch Werke für bestimmte Orte geschaffen. Damit sind im Lauf der Jahre zahlreiche Serien und Räume entstanden, die auf unterschiedliche Weise Überlegungen zum wechselseitigen Verhältnis von einzelnem Bild, Werkgruppe und Ausstellungraum anstellen.

Die Serien in Richters OEuvre folgen dabei ganz unterschiedlichen Ansätzen und Fragestellungen: Es gibt Werkgruppen, die durch inhaltliche Zusammengehörigkeit des Sujets entstehen – von den "Acht Lernschwestern" (1966) bis zum "18. Oktober 1977" (1988). Bei anderen Serien hat er sich einem Motiv in mehreren Fassungen genähert, so dass das Verhältnis von Thema und Variation entscheidend wird – von der "Verkündigung nach Tizian" (1973) bis zu "S. mit Kind" (1995). Die Ensembles der abstrakten Gemälde wiederum schaffen einen erweiterten Bildraum, in dem sich das einzelne Gemälde und der Gesamteindruck stets wechselseitig aufeinander beziehen – so bei "Wald" (2005) oder "Cage" (2006). Diese und weitere Aspekte von Richters Arbeit mit Serien und Räumen macht die Ausstellung zum ersten Mal konzentriert erfahrbar.

Die Anfänge von Richters Beschäftigung mit dem Verhältnis von Malerei und Raum lassen sich bis in die 1950er Jahren zurückverfolgen, als er an der Kunstakademie Dresden Wandmalerei studierte. An den Entwürfen der damaligen Zeit wird bereits deutlich, wie sehr er dem architektonischen Kontext besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat. Das intensive Interesse für Räume und Präsentationsformen der Kunst ist vor allem dann ab den 1960er Jahren an Richters zahlreichen Skizzen des "Atlas" abzulesen. In ihnen sind utopische und reale Ausstellungsräume entworfen, die auf vielfältige und grundlegende Weise das Verhältnis von Bild und Architektur durchspielen, wobei die Grenzen zwischen Kunst und Raum zum Teil fließend werden. In einem Interview hat Richter sein starkes Interesse für den Raum unterstrichen: "Das ist so ein Traum von mir – dass die Bilder zum Umfeld werden, selbst Architektur werden."

Parallel zu dem Interesse an der Architektur spielt auch seit den frühen Werken die Arbeit mit mehrteiligen Gemälden eine Rolle. Die Ausstellung zeigt als eines der ersten Beispiele die "Acht Lernschwestern" (1966), das die acht Porträts der ermordeten jungen Frauen darstellt, wie sie zu dem Fall in der Zeitung abgedruckt wurden.

In den 1970er Jahren ist solchen inhaltlichen Werkgruppen eine andere Art von Zyklen an die Seite getreten, die das Verhältnis von Thema und Variation ausloten. In den Gemälden der Verkündigung nach Tizian (1973) hat sich Richter dem Vorbild von 1535 in verschiedenen, nacheinander ausgeführten, Fassungen genähert, in deren Verlauf es zu einer zunehmenden Abstraktion kam. Richter sagte dazu: "Der Auslöser war der Versuch, das Gemälde zu kopieren. Und dass es nicht klappte, zeigte mir die Schwierigkeiten, die wir damit haben, dass die ganze Kultur verloren ist, und dass es unsere Aufgabe ist, damit klarzukommen und daraus etwas zu machen." Die Gemälde befinden sich heute in unterschiedlichen Sammlungen und können hier ausnahmsweise gemeinsam gezeigt werden.

Eine bedeutende Werkgruppe der 1970er Jahre ist zudem "Grau" (1975), die Richter als Ensemble im Museum Abteiberg in Mönchengladbach eingerichtet hat. Zur Entstehung seiner grauen Bilder sagte er: "Es hatte mit kleinen Bildern angefangen, die ich einfach grau übermalt habe und mit Fotobildern, die ich so lange verwischt habe, bis überhaupt nichts mehr zu sehen war. Und dann habe ich die Feststellung gemacht, dass sie qualitative Unterschiede aufwiesen und dann wurde es für mich spannend, wieso eins gut ist und eine anderes weniger gut ist oder weniger schlecht und so weiter.“ Daraus ist eine Serie entstanden, die auch in der Negation durch die graue Farbe künstlerische Qualitäten in der Variation entdeckt.

Die Zyklen der abstrakten Gemälde, von denen die Ausstellung unter anderem "Bach" (1992), "Wald" (2005), "Cage" (2006) zeigt, sind bereits im Malprozess anders angelegt als Einzelbilder. Richter sagte dazu: "Bei den abstrakten Arbeiten entstehen alle auf einmal. Da wird nicht eins fertig gemalt und dann kommt das zweite, sondern alle Bilder werden auf einmal angelegt. Die haben zunächst alle den gleichen Status, und dann fangen die an voneinander zu lernen. Ich kann sie somit untereinander vergleichen." Durch die Wechselbezüge zwischen den einzelnen Leinwänden entsteht ein neuer, erweiterter Bildraum.

Bei diesen abstrakten Zyklen haben auch die Titel eine wichtige Bedeutung. So ist "Cage" (2006) nach der Musik von John Cage benannt, die Richter während der Arbeit an den Gemälden hörte. Der Zyklus "Wald" (2005) entstand nach den Fotografien von Waldspaziergängen. Allerdings sind die Gemälde nicht figurativ, sondern sie thematisieren in abstrakter Weise den Eindruck, sich im Wald verirren zu können: "Geschildert wird ja eher das Gefühl, das man in dem Wald hat, den man nicht versteht." Neben den konkreten, materiellen Raum tritt der imaginäre Raum der abstrakten Gemälde.

Eine Sonderstellung nimmt in der Ausstellung wie in Richters OEuvre der Zyklus "18. Oktober 1977" (1988) ein. Er basiert auf einer langjährigen Auseinandersetzung des Künstlers mit der deutschen Geschichte im Zusammenhang der Roten Armee Fraktion. Der Zyklus umfasst 15 Gemälde nach Pressefotografien, bei denen sich einige – wie die drei Bilder "Tote" – selbst ihrem Gegenstand in Variationen zu nähern versuchen. Die Bilder bieten nicht Antworten auf die Fragen nach der politischen Ideologie, sondern stellen das Ungewisse, die Zweifel, aber auch die insistierende und konzentrierte Auseinandersetzung in den Vordergrund. Der Raum wird zum Geschichtsraum und bietet durch die Betrachtung Anlass zu weiterem Nachdenken über die Möglichkeit der malerischen Darstellung der Historie.

Richter hatte sich in der Verkündigung nach Tizian mit dem kunstgeschichtlichen Vorbild auseinandergesetzt. In der Serie "S. mit Kind" (1995), die Familienfotos zur Grundlage hat, kommt das Verhältnis von Tradition und Gegenwart in andere Weise und auf motivischer Ebene ins Spiel. Richter dazu: "Eigentlich kann man keine Mutter mit Kind mehr malen. Das ist völlig reaktionär. Das sind Madonnenbilder. Von dieser Not spürt man schon ein bisschen, wenn das beim Malen wieder zerkratzt wird und wieder mit dem Spachtel überstrichen und wieder hervorgeholt wird. Deswegen gab es die Serie als Versuche, doch davon ein Bild zu machen. Das sind ja eigentlich alles zerstörte Bilder oder unerträglich süß." Diese malerischen Ansätze, trotz aller Zweifel an dem Motiv festzuhalten, zeigt der Raum.

Solche Gemälde gehören als Gruppe fest zusammen. Damit unterscheiden sie sich von den Serien, die zwar bestimmte Motive ausloten, aber trotzdem jedes für sich als Einzelbild gesehen werden sollen, wie etwa die Stillleben: "Die meisten Serien sind deswegen auch unterschiedlich, weil es verschiedene Versuche sind. Sie haben zwar ein Thema, waren aber nie dafür gedacht, zusammen gezeigt zu werden. So zum Beispiel die Kerzen-Bilder. Aber es gibt auch Bilder, die einen richtigen Zusammenhang haben und die ein Thema so in verschiedenen Variationen behandeln, dass man sie nebeneinander zeigt. Die eignen sich dann für einen Raum." Diese Werkgruppen sind es, auf die sich die Ausstellung fokussiert. Mit den Spiegeln, mit denen Richter seit den 1990er Jahren verstärkt arbeitete, tritt der Bezug zum Raum in eine neue Qualität. Waren vorher Gemälde zu sehen, rückt nun mit dem Blick auf die spiegelnden Glasscheiben der Ausstellungsraum mitsamt den Besuchern selbst in die Aufmerksamkeit. Auch die Architektur der Räume wird Teil der Bilder. Die Ebenen der spiegelnden Objekte, der Räume und des sich kontinuierlich verändernde Spiegelbildes überlagern sich. Die Betrachter-Erfahrung wird bewusster Teil des Werkes. In der Ausstellung wird Richters "Vier graue Spiegel" (2013) als Raum gezeigt.

Der Objekt-Charakter dieser monochromen Spiegel wird bei den Arbeiten mit Glasscheiben noch einmal verstärkt. Bei der Reihe mit 12 Scheiben und dem Kartenhaus mit 7 Scheiben, beide von 2013, finden vielfach Übergänge statt vom Blick durch die Scheiben und dem Bildraum der Spiegelungen bis zur greifbaren Präsenz der Glasscheiben selbst als Objekt. "Glas ist eben etwas sehr Faszinierendes: als durchsichtige Scheibe trennt sie uns von und schützt uns vor der Wirklichkeit, die sie uns zeigt wie ein Bild. Und als Spiegel zeigt sie uns ein Bild, das da gar nicht ist wo wir es sehen. Die Scheibe selbst ist nur dann das was gesehen werden soll wenn wir sie als Objekt ausstellen. Das hat mich schon sehr gereizt." Zu den jüngsten Arbeiten in der Ausstellung zählt auch die Serie der Strip-Bilder (2013). Sie basieren auf der fotografischen Aufnahme eines abstrakten Gemäldes von 1990, aus der dann mittels Computer Details vergrößert und dann mehrfach gespiegelt sind. Die Fragen nach dem künstlerischen Potential von Serialität und Wiederholung erhalten hier eine neue Facette.

Insgesamt zeigt die Ausstellung somit eine Vielzahl von Aspekten der Bedeutung von Serie, Zyklus und Raum in Richters OEuvre. Sie reicht von thematischen Räumen über solche, die den Werkprozess anschaulich machen und erweiterte Bildräume bis zum direkten Wechselbezügen von Bild- und Ausstellungsraum in den Glas- und Spiegelräumen. Der Betrachter bewegt sich in der Ausstellung nicht nur von Werk zu Werk, sondern von Raum zu Raum, in dem er sich jeweils inmitten eines Ensembles befindet. In jedem dieser Räume entstehen neue Bezüge zwischen Richters Werken und dem Kontext des Ortes. Dabei werden in der Ausstellung zwischen die Serien immer wieder kontrapunktisch Einzelwerke des Künstlers gezeigt. Darunter sind auch Gemälde, die einen ikonischen Status erlangt haben, wie Betty (1988) oder Lesende (1994). Sie brechen die Abfolge der Räume auf und laden dazu ein, selbst weiter über das Verhältnis von Einzelbild und Werkgruppe in Richters OEuvre nachzudenken. Hans Ulrich Obrist


Gerhard Richter
18. Mai bis 7. September 2014