Zu den selten aufgegriffenen Themen der deutschen Kunstgeschichte zählt die Epoche des frühen Barock. Dabei hat es während des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland viele interessante Künstlerpersönlichkeiten gegeben, die sich trotz der widrigen Lebens- und Arbeitsumstände behaupten konnten.
Der Maler und Kunstschriftsteller Joachim von Sandrart (1606-1688) hat in seiner »Teutschen Academie der Edlen Bau- Bild- und Malereykünste« zahlreiche Lebensläufe der damals aktiven Künstler aufgezeichnet. Er rühmt besonders die Leistungen eines Bildhauers, dessen Mobilität und dessen früher Tod für das Schicksal eines Künstlers dieser Zeit kennzeichnend erscheinen: Georg Petel.
Georg Petel ist 1601/02 in Weilheim in Oberbayern als Sohn des Kistlers (Kunstschreiners) Clement Petel geboren. Nach dem frühen Verlust beider Eltern wächst er als Waise auf. Sein Vormund wird der ortsansässige Bildschnitzer Bartholomäus Steinle, der als sein erster Lehrmeister gilt. In der Werkstatt des Hofkistlers Christoph Angermair in München erlernt er anschließend das Schnitzen in Elfenbein.
Als Wandergeselle verlässt er Deutschland zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges. Bereits 1620/21 in Antwerpen trifft er Peter Paul Rubens und reist dann über Paris nach Rom und Genua, wo er als unübertroffener Elfenbeinschnitzer seiner Zeit gilt. 1624 kehrt er als freier Wanderkünstler nach Deutschland zurück und arbeitet für verschiedene Kurfürsten und Fürsten, die ihn an ihre Höfe zu binden versuchen.
Petel zieht es jedoch vor, sich als Meister in der Freien Reichsstadt Augsburg niederzulassen. In der liberalen Kunststadt beginnt er auch in Bronze zu arbeiten. Aufträge von Adel und Kirche fließen ihm zu, bis die Stadt in den Würgegriff des Krieges genommen wird. Bei deren Belagerung durch das Heer der katholischen Liga sterben Tausende an Hunger und Epidemien. In den Wirren verliert sich auch Petels Spur; vermutlich ist er 1634 im Alter von nur 33 Jahren gestorben.
Im Dienst der Gegenreformation fertigt Georg Petel zahlreiche Kruzifixe, denen er immer wieder ein individuelles Gepräge verleiht. Seinen erst vor wenigen Jahren entdeckten Elfenbein-Kruzifixus im Karmeliterinnen-Kloster in Pontoise schnitzt er 1621 in Paris im Alter von nur 19 Jahren. Die Bewältigung des schwierigen Themas bezeugt seine frühe Meisterschaft und seelische Reife. Petel schafft außerdem Heiligenfiguren und widmet sich wiederholt der Darstellung des oft als Pestpatron angerufenen Hl. Sebastian.
Aber auch antike und mythologische Themen beschäftigen ihn, und in der Behandlung dieser Themen bricht sich die Vorliebe seiner Zeit fürs Derbe und Erotische Bahn. Während seiner wiederholten Besuche bei Rubens in Antwerpen produziert er nach dessen Vorlagen einige seiner berühmtesten Kleinplastiken wie »Venus und Cupido« (Oxford) oder das Salzfass mit dem Triumph der Venus (Stockholm). Er arbeitet überwiegend in Holz und Elfenbein, nicht minder geschickt auch in Bronze. Souverän meistert er große wie kleine Formate. Seine Skulpturen bereitet er sorgfältig mit Wachsmodellen und Zeichnungen vor. Die so genannte Weilheimer Schule, das Studium der Antike und Einflüsse zeitgenössischer Bildhauer Italiens prägen seinen Stil.
Petel orientiert sich jedoch nicht allein an spätmanieristischer und barocker Skulptur; er macht sich auch Anregungen aus der Malerei zu Eigen. Rubens" Typus des Gekreuzigten mit weit nach oben gestreckten Armen übersetzt Petel in seine Elfenbein-Kleinplastiken, um der Form des Elefantenstoßzahns gemäß materialgerecht aus einem Stück zu arbeiten. Die Orientierung an Rubens und das Studium der Natur lassen ihn über manieristische Tendenzen in der Skulptur hinauswachsen. Seine »Hl. Magdalena« im Regensburger Niedermünster weist auf den Hochbarock eines Bernini voraus.
Georg Petels Zeitgenossen Joachim von Sandrart und Rafaele Soprani loben den Bildhauer in höchsten Tönen. Im 18. Jahrhundert nennt man ihn den »deutschen Michelangelo«. Im 19. Jahrhundert gerät er wegen der damaligen Vorrangstellung der Malerei in Vergessenheit. Seit dem zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts beschäftigen sich Experten mit der Rekonstruktion seines Œuvres und unterstreichen seinen Rang unter den Bildhauern des Barock. 1964 findet im Bayerischen Nationalmuseum in München letztmalig eine Ausstellung zum Gesamtwerk statt. Auf der Basis dieser Ausstellung erscheint 1973 eine Monografie, in der die langjährige maßgebliche Forschungsarbeit von Karl Feuchtmayr über Georg Petel postum aufgenommen worden ist. Das Haus der Kunst nimmt nun die seinerzeit abgebrochene Beschäftigung mit Georg Petel wieder auf.
Gegenüber der Ausstellung von 1964, die auch Petels Umfeld einbezog, konzentriert sich die Ausstellung im Haus der Kunst stärker auf die Hauptwerke und ist um Neuentdeckungen ergänzt. Mit 25 Werken zeigt sie etwa die Hälfte des erhaltenen Œuvres. Einen Schwerpunkt bildet die monumentale Holzplastik der Augsburger Jahre, die mit - zum Teil eigens für die Ausstellung restaurierten - Stücken aus der Barfüßerkirche, der Moritzkirche und dem Dom in Augsburg sowie der Kirche in Aislingen hervorragend vertreten ist. Daneben sind auch einige der so kostbaren wie fragilen Elfenbeinarbeiten wie der in Genua geschnitzte Kruzifixus der Familie Pallavicino zu sehen.
Die Brunnenfigur des Neptun der Münchner Residenz steht im Zentrum der Präsentation von Bronzebildwerken. Auch diese durch das Altersantlitz des kriegsmüden Meeresgottes beeindruckende Plastik wird für die Ausstellung aufwendig restauriert. Weitere Kleinplastiken in Bronze und Hartholz sowie einige Zeichnungen runden die Präsentation ab, die damit sämtliche Facetten von Petels vielseitigem Schaffen erfasst.
Zur Ausstellung erscheint im Deutschen Kunstverlag eine von León Krempel verfasste Monografie.
Georg Petel. Bildhauer im 30-jährigen Krieg
9. Mai bis 19. August 2007