Genrevariationen und beklemmende Psychodramen - Roman Polanski wird 75

18. August 2008 Walter Gasperi
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Das Werk des am 18. August 1933 als Sohn staatenloser, jüdischer Migranten in Paris geborenen Roman Polanski lässt sich kaum auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Von beklemmenden Psychodramen ("Repulsion") über Literaturverfilmungen ("Oliver Twist") bis zu Genreparodien ("Dance of the Vampires") spannt sich der Bogen. Gemeinsam ist seinen Filmen freilich, dass ihnen der Spagat von Unterhaltung und hoher Filmkunst gelingt.

Um dem französischen Antisemitismus zu entkommen übersiedelte die Familie Polanski 1937 nach Krakau – und fiel keine drei Jahre später nach Hitlers Einmarsch in Polen den Nazi-Häschern in die Hände. Der siebenjährige Roman musste die Verhaftung seiner Mutter miterleben. Sie starb wie viele andere Familienmitglieder in Auschwitz, der Vater überlebte dagegen das KZ. Roman selbst entging der Verhaftung und Ermordung, wurde aber mehrmals schwer verletzt, von Deutschen Soldaten als Zielscheibe für Schießübungen benutzt und in einem Bunker von einem Raubmörder überfallen.

Entscheidend geprägt haben diese Kindheits- und Jugenderfahrungen den begeisterten Kinogänger, der 1954 bis 1959 die Filmhochschule in Lodz absolvierte. Nicht nur in seinem vielfach preisgekrönten Holocaust-Drama "The Pianist", sondern auch in den beklemmenden Auseinandersetzung mit menschlicher Angst und seelischer Deformiertheit in "Repulsion" oder "Rosemary´s Baby" oder der Schilderung der tristen elternlosen Kindheit Oliver Twists im frühindustriellen London schlägt sich dieser biographische Hintergrund nieder.

Internationale Anerkennung fanden schon Polanskis Kurzfilme "Zwei Männer und ein Schrank" (1958), "Der Dicke und der Dünne" (1961) und "Säugetiere" (1962), mit denen er ironische Parabeln voll surrealistischer Einfälle vorlegte. Auch sein erster Spielfilm "Das Messer im Wasser" (1962) war eine Parabel, die sich allerdings konkreter auf die polnische Gesellschaft bezog. Im sexuellen Drama, das sich zwischen einem entfremdeten Ehepaar und einem Studenten während einer Segeltour entwickelt, sah die zeitgenössische Kritik eine Metapher auf die Revolution.

Schon nach diesem Debüt verließ Polanski Polen und drehte nach einer Episode von "Les plus belles escroqueries du monde" (1964) in England "Repulsion" (1965), "Cul-de-sac" (1966) und "Dance of the Vampires" (1966). Wie in den polnischen Filmen geht es auch in "Repulsion", in dem sich eine junge, von Catherine Deneuve gespielte Frau immer mehr von ihrer Umwelt bedroht fühlt, und in "Cul-de-sac", in dem zwei Gangster nach einem mißglückten Coup im abgelegenen Haus eines seltsamen Paares landen, um Isolation, klaustrophobische Angstzustände und die Umschichtung von Machtverhältnissen. Immer wieder kehrte Polanski zu diesen Themen zurück, in seinem subtilen Horrorfilm "Rosemary´s Baby" (1968) – Polanskis erstem amerikanischer Film –, in dem ganz aus der Perspektive einer schwangeren jungen Frau von ihren sich sukzessive steigernden Ängsten wegen der realen oder eingebildeten Teufelsbeschwörung durch die Nachbarn erzählt wird, ebenso wie in "Le Locataire" (1976) oder der Verfilmung von Ariel Dorfmanns Theaterstück "Death and the Maiden" (1994).

Wie in "Rosemary´s Baby" der Horrorfilm modifiziert und in den Alltag geholt wurde, so parodierte Polanski schon zuvor mit "Dance of the Vampires" (1966) ebenso lustvoll wie einfallsreich die Vampirfilme insgesamt und die Dracula-Filme mit Christopher Lee im speziellen. Gelang ihm mit "Chinatown" (1974) nochmals eine meisterhafte Variation des und Hommage an den Film noir der 1940er Jahre und mit der Thomas Hardy-Adaption "Tess" (1979) zumindest ein bestechend fotografierter, so versuchte er diese Erfolge glücklos mit der Piratenfilm-Parodie "Pirates" (1986) zu wiederholen.

Weitere Misserfolge fehlen im Werk Polanskis mit dem überladenen "Bitter Moon" (1991) und dem Sexdrama "The Ninth Gate" (1999) so wenig wie Krisen und Skandale um sein Privatleben. Einerseits stürzte ihn 1969 die bestialische Ermordung seiner hochschwangeren Frau Sharon Tate durch den Sektenführer Charles Manson in schwere Schuldgefühle, andererseits wurde er 1977 in den USA selbst angeklagt eine 13-Jährige vergewaltigt zu haben und floh nach einem Schuldeingeständnis um einer langjährigen Haftstrafe zu entgehen nach Paris.

Immer wieder hat er sich aber auch von diesen persönlichen und künstlerischen Tiefschlägen erholt. Nicht als Autor mit eigenem Stil, sondern als Regisseur, der sich perfekt seinem jeweiligen Sujet anpassen kann und dabei doch auch seine persönlichen Obsessionen und seine Weltsicht einfließen lässt, hat er sich gerade auch zuletzt mit "The Pianist" (2002) und "Oliver Twist" (2005) erwiesen. Wie aus der Zeit gefallen wirken diese Filme und sind gerade dadurch zeitlos, klassisch schon zum Zeitpunkt ihrer Entstehung.

Und nach dem gescheiterten Projekt einer Verfilmung von Richard Harris´ Bestseller "Pompeji" dürfte er mit der für 2009 geplanten Verfilmung von Robert Harris´ Roman "The Ghost" ein weiteres Steinchen einem Werk hinzufügen, das äußerlich zwar ausgesprochen vielfältig ist, unter der Oberfläche aber doch vielfältige Querverbindungen aufweist.