Genrekino statt Autorenfilme

19. März 2009
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Die Zeiten als politisch aussagekräftige Autorenfilme aus der "Dritten Welt" bzw. korrekter ausgedrückt, aus den Ländern des Südens, das Filmfestival Fribourg beherrschten, scheinen vorbei zu sein. Genrekino ist angesagt. Dies bedeutet, dass es Krimis und Gangsterfilme zu sehen gibt, die sich in der Machart am amerikanischen Original orientieren, aber eben doch aus einem anderen Land kommen und dessen Gegebenheiten angepasst sind.

Bestes Beispiel war "Veronîca", ein fulminantes Remake von Cassavetes "Gloria", wo eine überforderte Lehrerin einen Jungen in eine düstere Gegend Rios nach Hause bringen soll, doch dessen Eltern gerade erschossen wurden und auch der Junge gejagt wird, weil er auf einem USB-Stick Beweise für die Korruption in der Polizei hat. Dass da die Polzei nicht der Freund und Helfer sein kann, macht die Sache spannend. Wem diese atemlose Verfolgungsjagden noch zu wenig hart waren, konnte sich am kolumbianischen Krimi "Perro Come Perro" (Hund frisst Hund) blutig sehen. Ein Polizist, der das bei einem Verdächtigen gefundene Geld selber einsteckt, löst eine Kettenreaktion von Morden aus, unter anderem mit der Kettensäge gefolterte und zerstückelte Opfer, letztlich verdächtigt und tötet jeder jeden.

Dennoch war es eine Überraschung, den neuesten Film von José Padilha, "Garapa", zu sehen. Padilha gewann letztes Jahr mit "Tropa de Elite" den Goldenen Bären von Berlin mit seiner gewalttätigen Berichterstattung der Elitetruppe der Polizei von Rio de Janeiro, die gegen eigene korrupte Kollegen vorgehen muss. In "Garapa", einem in Rocher Glauba erinnernden Schwarzweiss gedrehten Dokumentarfilm, zeigt er wie es ist, von den 50R$ des Programmes gegen den Hunger in Brasilien leben zu müssen, die Kinder bekommen oft nur Garapa, Zuckerwasser, zu trinken und es sind meist die Frauen mit ihren vielen Kindern, die noch am ehesten einen Ausweg suchen. Dabei sehen wir keine Opfer von Drogenhandel, Kriminalität oder Prostitution, sondern von Hunger, Krankheit und Flohverbiss.

Eine an sich einfache und berührende Geschichte aus Singapur war "My Magic", ein alkoholkranker, dicker Mann lebt mit seinem zehnjährigen Sohn zusammen, um ihm eine gute Ausbildung zu ermöglichen, verkauft er seinen Körper als Fakir. Um das nötige Geld zu bekommen, verlangt der chinesische Nachtclubbesitzer immer unmenschlichere Foltern von ihm. Sterbend erzählt er seinem Sohn seine Lebensgeschichte.


Neben den Filmen im Wettbewerb, die nun neben dem Preis der Internationalen Jury auch mit einem Publikumspreis ausgezeichnet werden, gab es die Reihe "Out of Bollywood", also Filme, die sich vom üblichen Bollywood-Klischee abheben. So "Mumbai Meri Jaan" (Mumbai mein Leben), das die Folgen der Attentatsserie vom 11.7.2006 auf die Eisenbahnlinie bei Mumbai aus dem Blickwinkel von fünf Bewohnern, darunter auch zwei Polizisten, beinhaltet und viele kleine Beobachtungen des Chaos in Indien ermöglichte. Die "Fabulas de favela" – die Geschichten aus den Slums wurden dabei zum neuen Genre erklärt, vielleicht auch unter dem Aspekt des Oscar-Erfolges von "Slumdog Millionaire" und bildeten eine weitere Programmschiene.

In ganz Afrika soll es kaum noch 100 echte Kinos geben, Videovorführungen von Raubkopien in Bars, kleinen Räumen und alten Containern ersetzen es. Diesen Umstand hat Nigerias Home Video Industrie "Nobywood" ausgenützt und produziert viele billige digitale Filmchen. Diese sind in Fribourg in einem bunten Container vor dem Alten Bahnhof authentisch zu bewundern.

"Rache der Frauen" war ein weiterer Schwerpunkt, darunter sogar Russ Meyers "Faster, Pussycat!" und "Baise-Moi" in der Hardcore-Fassung, also keine typischen Frauenfilme, diese Auswahl zeigt deutlich, wie sehr sich Fribourg von den etwas schulmeisterlichen Trigon-Filmen entfernt hat. Gangsterfilme aus Asien ("Der Pate in Asien"), die sich durch besondere Brutalität auszeichnen, rundeten das Bild ab.

Die Retrospektive war schließlich Francisco Lombardi, dem Fellini Perus gewidmet, dessen "Caidos del Cielo" bei uns auch im Fernsehen gelaufen ist und dessen "Bajo la piel", ein Krimi mit Bezügen zur präkolumbianischen Epoche in den Anden mich sehr faszinierte, das übliche Gut-Böse Schema wird dabei nämlich gehörig untergraben.

Einen deutlichen Wandel in der Programmierung also. Aber vielleicht haben damit die Filmemacher aus den Ländern des Südens auch eine Chance, ihre "normalen" Publikumsfilme 
dem westlichen Betrachter vorzuführen.
Norbert Fink


Festival Fribourg
14. bis 21. März 09