Gemini Dresage

Im Rahmen der aktuellen Präsentation aus der Sammlung, die sich auf die amerikanische und europäische Kunst der 1960er Jahre mit den großen Werken der Pop-Art und des Minimalismus konzentriert, zeigt das MMK eine umfassende Einzelausstellung der amerikanischen Künstlerin Sarah Morris (*1967). In ihrer Arbeit, die sowohl Film als auch Malerei umfasst, greift Morris die Formensprache der Pop-Art und des Minimalismus auf, erweitert sie medial und stellt sie in einen neuen inhaltlichen Diskurs, der sich zwischen Politik, Industriedesign, Unterhaltung, Kommerz und Architektur bewegt.

Sarah Morris kreiert Bilder und Filme, in denen sie urbanen und sozialen Typologien unserer Gegenwart nachspürt. Sie erkundet die psychologischen und gesellschaftlichen Codes der modernen Stadt und die Formensprache, in der sie sich in der Architektur niederschlagen. Auf diese Weise will sie herausfinden, wie sich ein bestimmter historischer Moment in die visuelle Oberfläche eines Ortes, einer Stadt, einer Nation eingeschrieben hat. In zahllosen Variationen komplexer Farb- und Formanalysen, die das Erscheinungsbild unserer städtischen Umwelt adaptieren, versucht Morris herauszufiltern, was hinter den heutigen Fassaden architektonischer und urbaner Strukturen verborgen liegt. So wirken ihre nicht-narrativen Gemälde und Filme wie konspirative Studien gesellschaftspolitischer Machtmechanismen und globaler Netzwerke.

Im Rahmen dieser Ausstellung ist erstmalig in Europa Beijing, der neueste Film von Sarah Morris, zu sehen. Im Mittelpunkt von Beijing, einem 86-minütigen 35mm-Film, steht das organisatorisch höchst komplexe und vielleicht am meisten gesendete Event der vergangenen Jahre: die Olympischen Spiele 2008 in Peking. Gerade heute, in einer Zeit der globalen Krise, rückt die in diesem Film unterschwellig sichtbare Offensivität der Wirtschafts- und Machtpolitik Chinas besonders eklatant ins Bewusstsein.

Die Olympischen Spiele – mit ihrem Flair von historischer Bedeutsamkeit und ungebrochenem Vertrauen in die Zukunft und den Nationalismus – verkörpern ein System, das durch einen beispiellosen technologischen und finanziellen Aufwand, durch Massenmigration und durch eine hypermedialisierte Ereigniskultur den modernen Zusammenfluss von Kapitalismus und Massenmedien versinnbildlicht. In Beijing spielt Sarah Morris mit den vielen Ambivalenzen, die durch die komplexen unendlichen Doppeldeutungen, die durch die multiplen Interpretationsmöglichkeiten dieses Schauspiels entstehen. Der Film ist das surreale Porträt eines autoritären, neokapitalistischen Staates in einer extremen Phase der Selbststilisierung und Kontrollsucht. Beijing zeigt ein bislang in vielen Bereichen verschlossenes Land in einem Moment der scheinbaren Öffentlichkeit, eine verborgene Kultur in einem Moment extremer Sichtbarkeit, ein Volk mit einer erhöhten Eigenwahrnehmung und einem großartigen Gespür für das Schauspiel. Der Film hinterfragt die verantwortliche Autorität hinter diesem Spektakel, und somit auch indirekt die Rolle des Künstlers.

Neben Beijing zeigt das MMK zwei weitere Filme der Künstlerin: Capital (2000), gefilmt in den letzten Tagen der Regierung von Bill Clinton, genau ein Jahr vor dem 11. September, und Robert Towne (2006), ein Porträt des bekannten Hollywood Drehbuchautors, Regisseurs, Produzenten und Oscarpreisträgers für den Film Chinatown. Außerdem ist eine spezifische Auswahl von neuen Gemälden aus den Serien Rings und Origami zu sehen. Diese Zusammenführung suggeriert eine mögliche Parallelität von Ereignissen in unterschiedlichen Orten und Zeiten. Darüber hinaus hat Sarah Morris speziell für die Ausstellung im MMK ihr bisher größtes Wandgemälde in Europa, Chimera [Origami], entwickelt. Dieses Wandgemälde erstreckt sich über zwei Stockwerke und acht Wände und nimmt Bezug auf die Symmetrie der von Hans Hollein entworfenen Architektur des Museums. Hier findet ein faszinierender Dialog statt zwischen der für die Arbeit von Sarah Morris charakteristischen Formensprache und den zur Zeit im Rahmen von Yellow and Green ausgestellten Werken der Pop-Art und des Minimalismus.

In Zusammenarbeit mit dem MAMbo - Museo d’Arte Moderna di Bologna und dem Witte de With Center for Contemporary Art in Rotterdam, die ebenfalls Ausstellungen von Sarah Morris zeigen werden, hat das MMK eine großformatige Publikation mit umfangreichem Bildmaterial zu Beijing produziert. Sie enthält einen Text des britischen Filmkritikers und The New Yorker-Autors Anthony Lane über die Olympischen Spiele in Peking, einen weiteren des chinesisch-britischen Autors und Kurators Colin Chinnery über die Dreharbeiten in Peking sowie eine Abhandlung von der britischen Kunsthistorikerin Andrea Phillips über das Werk der Künstlerin. Das Buch erscheint im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln.


Sarah Morris - Gemini Dresage
30. Mai bis 30. August 2009