Gedanken an die Vergangenheit

Vom 30. Juni bis 23. September 2007 zeigt Kunst Meran Arbeiten des Fotografen Boris Mikhailov. Das Werk Mikhailovs hat sich seit den Siebziger Jahren, in denen in der Ex-Sowjetunion seine gesellschaftlichen Erkundungen rund um das Leben der von den Machthabern stets ausgegrenzten und schlecht behandelten einfachen Leute ihren Ausgang nahmen, zyklisch entwickelt.

Sein Werk gleicht einem immensen menschlichen Atlas, auf dem sich – vor dem Hintergrund von Landschaften, die oft heruntergekommen sind oder in den äußersten Peripherien des ehemaligen sowjetischen Reiches angesiedelt – Scharen von Figuren abzeichnen. Doch ist seine mit Sicherheit bekannteste Serie, »Case history«, 2001 in der Saatchi gallery von London präsentiert, auch zur Gänze den homeless gewidmet, so hat seine Arbeit durchaus ironische und konzeptuelle Konnotationen, Schrift und Bild verknüpfend.

Mikhailov ist ein Künstler mit außergewöhnlichem Sehvermögen, der die einfachen Leute an die Basis seiner Poetik gestellt hat, gewöhnliche Leute, denen er sich zugehörig fühlt. Ihn interessiert es nicht, ein Unbehagen zu dokumentieren oder zu denunzieren, sondern er will Menschen, die andernfalls keine Spuren auf der Welt hinterlassen würden, zu Dasein und Sichtbarkeit verhelfen. Die Fotografie ist eine Art Nation für ihn, in der anonyme, gesichtslose Menschen Aufnahme finden: die Sozialfälle, die Ausgegrenzten aus Geschichte und Gesellschaft.

Geboren in der Ukraine, in Karkhov im Jahr 1938, ist Boris Mikhailov immer seinem Herkunftsland verhaftet geblieben, auch wenn er seit den Neunziger Jahren in Berlin lebt. Er selbst schrieb: »Karkhov ist auf eine sehr wirkliche Weise mein Ort. Ich glaube, dass der Westen zu viele Ablenkungen anbietet, die meiner Arbeit hinderlich sein können.«

In der Meraner Ausstellung werden 25 großformatige Fotografien gezeigt; der Kurator, Valerio Dehò, hat sie aus der letzten Werkreihe ausgewählt, die vom Künstler aufgrund der Technik den Titel »superimposition« (sovrapposizioni) erhalten hat und in denen er Fotografien aus vorangegangenen Serien zusammenbringt, neue Bilder hervorbringend. Das Ergebnis ist beinahe eine Neulektüre seines künstlerischen Werdegangs mit einer starken Anlage zur ästhetischen Wirkung, doch ohne auf seinen harten und schneidenden Stil zu verzichten, der ihn in der ganzen Welt bekannt gemacht hat.

Diese Serie zeigt einen anderen, in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Mikahilov, der sich zwar sentimentale Reflexionen über die eigene Ursprungswelt gestattet, doch über die Vergangenheit nachdenkt, ohne sich den Freuden der Erinnerung hinzugeben. Diese Fotografien, die aus der Überblendung mit anderen Fotografien hervorgehen, geben Anlass zu einer flüchtigen persönlichen Anthologie, zu Bildern »of affection«, um einen anderen großen Fotografen, Man Ray zu zitieren.


Boris Mikhailov - Yesterday
Kuratiert von Valerio Dehò
30. Juni bis 23. September 2007