Die Ausstellung "Futur Perfekt. Vollendete Zukunft" versammelt Werke von Künstlerinnen und Künstlern, die sich mit Zukunftsvorstellungen und Spekulationen über den Verlauf von Geschichte beschäftigen. Das "Futur Perfekt" bezieht sich auf die Zeitform des Verbs, die die Vollendung einer Handlung ausdrückt – etwas wird gewesen sein. Futur II ist die Vorschau in der Vergangenheit und damit Spekulation.
Besonders in der Politik und der Finanzwirtschaft wird versucht, Zukunft in dieser Weise vorauszusagen, um einer Gesellschaft oder Anlegern Sicherheiten zu vermitteln. Doch wenn Zukunft bereits als abgeschlossene Vergangenheit wahrgenommen wird, wie können wir dann überhaupt noch visionieren, spekulieren und gewohnte Denkmuster verlassen? An dieser Stelle setzt das Ausstellungsvorhaben an und fragt: Können wir uns noch in der Annahme eines Futur Perfekt verständigen? Wie positionieren sich Künstler im Umgang mit Material, Form, Narration und Imagination? Wie reflektieren sie Vergangenes neu? Wo sehen sie Handlungsmöglichkeiten?
Am explizitesten greift Clemens von Wedemeyers Film "Die Probe" (2008) die Frage nach Zukunft, nach Kontinuität und Wechsel auf der Bühne politischer Repräsentation auf. Sein Protagonist rezitiert backstage einen "falschen" Redetext für eine Wahlveranstaltung. Der Film läuft als Loop, so dass der Ausgang der entscheidenden Rede offen bleibt. Das Speichermedium Film lebt davon, die Irreversibilität von Zeit außer Kraft zu setzen. Clemens von Wedemeyer nutzt dieses Potenzial immer wieder, um den Zugang zu und den Ausgang von Geschichte(n) infrage zu stellen.
Ähnlich medienreflexiv geht Dani Gal mit historischen Dokumenten um, deren Bild- und Textrhetorik er oft separiert und mit eigenem Recherchematerial konfrontiert. In der interaktiven Klanginstallation "Architecture Regarding the Future of Conversations" (2008) laufen beide Seiten einer amerikanischen Vinylplatte mit Reden namhafter Architekten aus den Fünfzigerjahren. Der Originaltitel der LP ist "Conversations Regarding the Future of Architecture". Bewegen sich die Ausstellungsbesucher durch den Raum, variieren die Player Tempo und Lautstärke des Audio-Dokuments, die Akteure von heute aktivieren und manipulieren den historischen O-Ton.
Bild- und Tonebene sind auch im "Alpi-Film" (2011) von Armin Linke sehr speziell aufeinander abgestimmt: Die Bildschnitte folgen dem Ton und wirken unter anderem deshalb so hart. Der Film zeigt das Alpengebirge als eine globalisierte Zone komplexer sozialer, ökonomischer und politischer Verhältnisse in präzise kadrierten Bildern und Schnitten. Daneben sind von Armin Linke Fotografien globaler Räume und Raumnutzungen zu sehen, die kunsthistorische Bildtypologien verwerten und zugleich ihr eigenes Produktionsmedium sichtbar machen. Je nach Kameraformat bleibt das Papier als Bildträger wie als Rahmung des Bildausschnitts sichtbar.
Den Themen Ausschnitt, Ausschluss, Anschluss widmet sich Henrik Olesens Arbeit in einem körperbezogenen politischen Kontext. Es geht um den eigenen Körper und den der anderen, die Produktion von Körper und Raum um ihn herum. Henrik Olesen hat dem Erfinder des binären Codes und Pionier des Computerzeitalters Alan Turing (1912–1954) mehrere Werkzyklen gewidmet. In seiner Collagen-Edition "A.T." (2012) veranschaulicht er die brutale und tragische Übertragung dualer Abstraktion auf die physische und mentale Integrität des Mathematikers.
Danh Vo ist mit zwei Arbeiten in der Ausstellung vertreten, die im großen und im kleinen Format die Verschränkung von individueller Geschichte und politischen Systemen und Interessen verkörpern. Den intimen Abschiedsbriefes des 1861 hingerichteten Missionars Jean-Théophane Vénard an seine Eltern lässt der Künstler von seinem Vater immer wieder neu auf Anfrage abschreiben. Daneben liegen und lehnen zwei Fragmente der gigantischen, 31 Tonnen schweren Arbeit "We the People" (2010–2013). Danh Vo hat die New Yorker Freiheitsstatue in Originalgröße als Kupferoberfläche reproduziert und dann quasi in Scherben zerlegt.
Bei Nairy Baghramians Arbeit "Beliebte Stellen / Hot Spots" (2011) markieren drei offene, runde und farbige Metallstäbe Orte, die sowohl auf institutionelle Ausstellungsräume und deren Praxis, Exponate zu hängen, verweisen wie auf mögliche Standorte, die der Betrachter anstelle der Skulptur einnehmen könnte. Es geht um temporäre und lokal wechselnde Bedeutungen, die bestimmten Orten und Unorten zugewiesen werden. Nairy Baghramian zitiert in ihren Skulpturen, Fotografien und Rauminstallationen immer wieder aus dem Formenrepertoire der Moderne und verweist zugleich auf historische, soziopolitische und ästhetische Themenkomplexe.
Die drei malerische Positionen in der Ausstellung operieren an sehr unterschiedlichen Bruchstellen des Mediums. Während Jutta Koether die künstlerische Ambivalenz zwischen dem Wunsch nach Einbildung und dem Verwerfen von Repräsentation in Malerei thematisiert, schreibt Kerstin Brätsch (DAS INSTITUT) Malerei als Display an der Schwelle zwischen Duktus, Expression und Warenwelt fort. Antje Majewski indes räumt dem Bild einen quasi magischen Ort zwischen Narration, enthierarchisiertem Wissen und Gegenstand ein.
Die beiden großformatigen Gemälde von Jutta Koether haben den Titel "Berliner Schlüssel", das ist ein spezieller Schlüssel, mit dem sich Altbautüren nur öffnen lassen, wenn man sie hinter sich auch wieder verschließt. Es sind Bilder, die Schönheit und Fremdheit suggerieren, die Kunstgeschichte zitieren, Objekte darstellen und zugleich die nervöse, zweifelnde Hand des zeitgenössischen Subjekts zum Ausdruck bringen. Jutta Koethers Arbeit umfasst neben der Malerei auch Performances, Film und Musik sowie publizistische Tätigkeit.
Kerstin Brätsch arbeitet seit 2007 mit Adele Röder unter dem Label DAS INSTITUT zusammen, das ihnen als fiktive "Import-Export-Agentur" für die Bewerbung und Vermarktung ihrer Werke dient, die sie als radikale Symbiose zeitgenössischer Oberflächen verstehen. In ihren Malerei-Objekten, Wandstücken, Displays und Installationen geht es eher um die Entmystifizierung von Malerei und spekulative Fragen und Gedankenmodelle wie: Was ist ein Gemälde? Was ist digitales Design? Was ist ein Zeichen? Was ist ein Abzeichen?
Antje Majewski hat 2011 ein Projekt fertig gestellt, dem sie zwei Jahre lang ihre Recherchen, ihre Reisen, ihre Kollaboration und ihre Malerei widmete. Sie ging der Bedeutung und Repräsentation von sieben Objekten in verschiedenen kulturellen Kontexten auf verschiedenen Kontinenten nach. Die Geschichten, die diese Objekte zum Sprechen brachten, formierten schließlich eine Art Museum der Dinge mit Videofilmen und Interviews, mit Malerei und Beiträgen befreundeter Künstler und Künstlerinnen. Die mehrteilige Arbeit "Entity" (2009) ist ein selbstständiges Exzerpt aus der "Gimel-Welt". Das Museum wird von Antje Majewski als Ort magischer Praktiken interpretiert, aber auch als Schauplatz von Brüchen und kulturellen Verschiebungen.
Annette Kelm widmet sich unter anderem in der Serie der "Drift Wood Lamp" (2010) eigenartigen Objekten aus den Fünfzigerjahren, die Zypressenwurzelholz mit Elektrizität zu Leuchtobjekten paaren. Sie zitiert als Fotografin die klassischen Genres des Mediums wie Stillleben, Porträt, Objekt-, Landschafts- und Architekturfotografie. Die Motive ihrer analogen Aufnahmen sind häufig nicht eindeutig lesbar und weisen hybride kulturelle Zuweisungen auf. Kelm setzt stets einzelne Motive vor die Kamera und reproduziert stilllebenartig deren Fremdheit, als kämen sie aus einer anderen Zeit und Kultur.
Die Frage, wie Handlungen sich im Material skuptural und räumlich artikulieren können, ohne in abgeschlossener Werkform zu erstarren, beschäftigt Nora Schultz. Die Metapher der Maschine erlaubt ihr, Skulptur als Produkt und Produzent zu handhaben. "Discovery of the Primitive" (2011) ist eine Art einfacher Druckmaschine, ein Metallgitter, das sich und anderes Material auf Bildträgern abdrucken kann. Diese Drucksachen werden dann Bestandteil des Werks und können immer wieder – performativ von der Künstlerin oder in Absprache von anderen Akteuren – gefertigt werden. Nora Schultz arbeitet mit einfachen, gefundenen Bau-Materialien, die sie zueinander in fragile, formale Balancen bringt, so als ob sie teilhätten an einer unabschließbaren Produktionsidee.
Sowohl Mariana Castillo Deball wie Yorgos Sapountzis und Cyprien Gaillard arbeiten über den und im historischen, ja auch archäologischen Raum, um Relikte von Geschichte neu zu lesen und zu aktivieren. Mariana Castillo Deball befragt mit gefälschten archäologischen Artefakten, wie sich eine (koloniale) Kultur zu ihrer eigenen Geschichte in Beziehung setzt. Dabei geht es ihr um unterlassene Wissensproduktion, institutionelle Politiken wie um die traditionelle Frage nach der Skulptur und ihrem Hintergrund. 2009, als sie noch in Brasilien lebte, begann sie mit der Serie der "Uncomfortable Objects": leichten, verstörenden, eleganten Objekten im Raum, die quasi kontextlos erscheinen, bei näherer Befragung aber eine Geschichte der Überlieferung und Manipulation verkörpern.
Cyprien Gaillard wurde bekannt mit spektakulären Videoarbeiten und Fotografien über den Verfall, die Zerstörung und den Abriss modernistischer Architektur und Kultur. In seinem Film "Artefacts" (2011) über die mythische im heutigen Irak liegende Stadt Babylon sieht man Aufnahmen des Ishtar-Tors im Berliner Pergamonmuseum ebenso wie Kultstätten in der Wüste und Neubauten, allesamt menschliche Hinterlassenschaften. Gaillard filmte in der ältesten Metropole mit der neuesten Technologie, mit einem iPhone, dessen Bilder dann auf 35mm umkopiert wurden. In den Kunst-Werken Berlin lud er im selben Jahr in einen gigantischen Biertempel: "The Recovery of Discovery". Der Ausstellungsraum war von einer massiven Pyramide aus Dosenbier eingenommen, das die Besucher konsumierten und so die Skulptur abtrugen beziehungsweise auflösten. In "Futur Perfekt" ist Cyprien Gaillard mit einer Serie kleinformatiger Collagen vertreten.
Yorgos Sapountzis geht in seinen Arbeiten oft von Monumenten und Strukturen des öffentlichen Raums aus, die er temporär und kollektiv aktiviert. Die Performances werden aufgezeichnet und gehen mit dem textilen Material der Aktion installativ in den Ausstellungsraum ein. Im Video "Fast Cast Past" (2011) sieht man zwei Skulpturen des deutschen Bildhauers Richard Scheibe, die im Berliner Stadtraum stehen: die eine aus dem Jahr 1935 verkörpert einen "Herrenmenschen", die andere stammt aus der Nachkriegszeit und steht an der Gedenkstätte für den Deutschen Widerstand im Dritten Reich. Die frühe Arbeit hat Yorgos Sapountzis in einer Performance mit farbigen Stoffen bedeckt und Abgüsse von ihr genommen, in der letzten Einstellung des Videos stellte er sich dann neben die zweite Skulptur.
Futur Perfekt. Vollendete Zukunft
23. August bis 13. Oktober 2013