Fußball im Film

9. Juni 2008 Walter Gasperi
Bildteil

Fußballspiele locken seit Jahrzehnten ein Massenpublikum in die Stadien. Fußballfilme waren dagegen bisher an der Kinokasse kaum erfolgreich und konnten künstlerisch am ehesten dann überzeugen, wenn sie den Sport nur als Anlass benutzten.

Fußball und Kino - schon die äußerlichen Parallelen sind unübersehbar. Wie die Fußballfans gebannt von den Rängen der Stadien auf das bewegte Geschehen auf dem Spielfeld blicken, so folgt der Kinozuschauer den Ereignissen auf der Leinwand. Auch zeitlich entsprechen die 90 Minuten eines Spiels in etwa der Länge eines Spielfilms.

Gerade diese Parallele erweist sich bei genauerer Betrachtung aber als Nachteil für eine Darstellung im Kino. Im Gegensatz zu einem Boxkampf mit seinen kurzen Schlagabtauschen oder einem Autorennen mit spektakulären Crashs lebt Fußball nicht von Einzelszenen, sondern gewinnt seine Spannung aus taktischen Spielereien, Raumaufteilung, dem Wechsel von Angriff und Abwehr und vor allem aus der festgelegten Spieldauer, die einem Countdown im Spielfilm entspricht.

Weil aber nur das Spiel als Ganzes spannend ist und isolierte Szenen rein illustrativen Charakter besitzen, können nur in Echtzeit gefilmte Spiele wie das kurze Tischfußballspiel in Sebastian Schippers "Absolute Giganten" (1999) und die furiose Plansequenz mit Herbert Zimmermanns legendärer Radioreportage des WM-Finales von 1954 als akustischem Hintergrund in Rainer Werner Fassbinders "Die Ehe der Maria Braun" (1978) echte Spannung und Dramatik entwickeln. Beliebig und fad wirken dagegen aus dem Zusammenhang gerissene Fußballszenen wie die in Sönke Wortmanns "Das Wunder von Bern" (2003).

Von allem, nur nicht vom Spiel kann laut Wim Wenders ein Fußballfilm erzählen, denn gegen die Dramaturgie eines Fußballspiels könne man mit den Mitteln des Films nur verlieren. Dies liegt wohl auch daran, dass die TV-Übertragungen der Spiele mit Vorberichten, wechselnden Kamerapositionen und schnellen Schnitten selbst gezielt die Strategien des Erzählkinos einsetzen, um Gefühle zu wecken und die Dramatik des realen Spiels zu steigern.

Im Spielfilm ist Fußball deshalb niemals Selbstzweck, sondern wird funktionalisiert für eine andere, darüber hinaus reichende Erzählung. Rainer Werner Fassbinder nutzt beispielsweise in seinen BRD-Filmen "Die Ehe der Maria Braun" und "Lola" (1982) die Weltmeisterschaften von 1954 und 1958 als Resonanzboden für die Geschichte und den Zustand des jungen Staates. Wird im WM-Sieg von Bern die Nachkriegsordnung endlich fixiert und die Herrschaft der Männer wieder zementiert, so spiegelt sich für Fassbinder in der fußballerischen Hackerei vier Jahre später in Schweden, die mit dem Ausschluss Erich Juskowiaks und dem Ausscheiden im Halbfinale endete, die korrupte Allianz von Wirtschaft und Politik der Adenauer-Ära.

Wie verschieden dabei historische Spiele gedeutet werden können, zeigt ein Vergleich mit Sönke Wortmanns "Das Wunder von Bern". Korrespondiert bei Fassbinder der WM-Sieg mit der Restauration der alten Ordnung und siegt Materialismus damit endgültig über Idealismus, so fährt bei Wortmann der WM-Zug am Ende ironiefrei in die goldene Zukunft des Wirtschaftswunders eines Deutschland, das durch diesen Sieg seine nationale Identität ebenso wie seine Position in der Welt wieder gefunden hat.

Historische Fußballspiele können aber auch dazu dienen das kollektive Gedächtnis einer Nation zu aktivieren und eine private Geschichte in ihr zeitgeschichtliches Umfeld einzubetten. Die WM-Niederlage Italiens gegen Nordkorea und das daraus resultierende Ausscheiden sind für die Handlung von Marco Tullio Giordanos sechsstündiges Familien- und Geschichtsepos "Die besten Jahre" (2003) völlig unwichtig, doch wird mit dieser TV-Übertragung ebenso wie mit der akustischen Einspielung des WM-Finales von 1982 ein historisches Zeitfenster geöffnet, das den Zuschauer in die erzählte private Geschichte stärker involviert.

Neben diesen realen Spielen, mit denen Zeitkolorit geschaffen und – wie dargelegt - Geschichte auch interpretiert wird, dient Fußball im Film auch dazu, um mit Witz und Ironie der Frage nachzugehen, was Europa oder die Menschen in einer globalisierten Welt zusammen hält. Das fiktive, in Moskau ausgetragene Champions-League-Finale Galatasaray Istanbul gegen Deportivo La Coruna läuft zwar in Hannes Stöhrs "One Day in Europe" (2005) nur im Hintergrund ab, verbindet aber einerseits erzähltechnisch vier zeitgleich spielende Episoden, andererseits auch ein Europa, dessen sprachliche und kulturelle Barrieren ebenso plastisch wie klischeehaft herausgearbeitet werden. Bezeichnend ist dabei, dass Stöhr als Schauplatz der Episoden neben Berlin mit Moskau, Santiago de Compostela und Istanbul Städte ausgewählt hat, die am Rande des Kontinents liegen.

Weltumspannend erscheint dann Fußball sogar im tibetischen "Phörpa – Spiel der Götter" (1999). Bis in ein buddhistisches Kloster ist hier die Fußballleidenschaft vorgedrungen und bringt das Leben der Mönche durcheinander. Denn statt andächtig zu beten, interessieren sie sich für die WM in Frankreich, diskutieren über Zinedine Zidane und Ronaldo, deren Poster die Zellen schmücken, und mieten einen Fernseher um das Endspiel genießen zu können. Wie im niederländischen Dokumentarfilm "The Other Final" (2003), der Vorbereitungen und Verlauf des Spiels der zwei am schlechtesten gereihten Nationalmannschaften der Welt schildert, gewinnt "Phörpa" seinen Reiz nicht durch Fußballszenen, sondern durch die kulturelle Divergenz zu den Vorstellungen des Kinozuschauers.

Neben diesem Spiel mit der Völker verbindenden Wirkung und der weltweiten Ausstrahlung lassen sich am Fußball aber auch gesellschaftskritische Geschichten festmachen. Beim Iraner Jafar Panahi läuft das entscheidende Qualifikationsspiel des Iran für die WM in Deutschland – der Gegner bleibt unerwähnt, war aber im konkreten Fall Bahrain – im Off ab und wird nur akustisch vermittelt. Denn dem Kinozuschauer wird der Zutritt zum Stadion ebenso verwehrt wie der Gruppe von Frauen, die versuchen als Männer verkleidet dem Spiel beizuwohnen, aber von Soldaten enttarnt und festgenommen werden. Vor dem Oval entwickelt sich so ein Disput über die Diskriminierung der Frauen, die entsprechend dem Titel auch gesellschaftlich im "Offside" (2005) stehen.

Übt Panahi Kritik an der von politischer Seite verordneten Ausgrenzung, so erzählt Gurinder Chadha in "Kick It Like Beckham" (2002) von Schranken, die konservative indisch-britische Eltern ihrer fußballbegeisterten Tochter setzen. Überhaupt fällt auf, dass Frauen beim Fußballfilm gemessen an der Realität überrepräsentiert sind. Von Buket Alakus "Eine andere Liga" (2005) über Maria Grieses "When Saturday Comes" (1996) bis zum finnischen "FC Venus" (2005) spannt sich hier der Bogen.

Daneben darf natürlich auch nicht die sich quer durch das Genre des Sportfilms ziehende Geschichte vom Underdog fehlen, der sich gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner durchsetzt oder nach Oben kämpft. Vielfältig sind dabei die Spielarten. Geht’s im vermutlich ersten Fußballfilm, dem deutschen Stummfilm "Die elf Teufel" (1927), der vom Triumph eines Berliner Amateurvereins über einen reichen Großclub erzählt, ganz traditionell zu, so will in John Hustons "Escape to Victory - Flucht oder Sieg" (1981) eine Gruppe britischer Kriegsgefangener ein Fußballspiel gegen Nazi-Schergen zur Flucht nutzen. An Mitteln fehlte es bei diesem Film kaum, doch da Sylvester Stallone und Michael Caine nicht kicken, die Fußballstars Pelé und Bobby Moore nicht schauspielern konnten und Huston es dem Gerücht nach vorzog Regie per Telefon zu führen, war das Ergebnis katastrophal.

25 Jahre nach diesem Fiasko hat sich Hollywood, unterstützt von der FIFA, nochmals an diesen Sport gewagt. In der Trilogie "Goal" (205; 2007; 2008) wird vom Aufstieg eines jungen mexikanischen Talents aus den Armenvierteln von Los Angeles (Teil 1)bis zum Star des königlichen Balletts von Real Madrid (Teil 2) und der Teilnahme an der Fußball-WM 2006 in Deutschland (Teil 3) erzählt. - Weder Kritik noch Publikum konnten sich allerdings für die ersten beiden Teile begeistern, der dritte befindet sich noch im Stadium der Postproduktion.

Gemeinsam ist allen diesen Filmen, dass Fußball nur Hintergrund, Anlass oder attraktiver Katalysator ist. Will ein Film aber überzeugend Fußball selbst in den Mittelpunkt stellen, so muss er sich in der Darstellung des Spiels in Opposition zu TV-Übertragungen setzen. Er muss entweder wie Helmuth Costard in "Fußball wie noch nie" (1970) 90 Minuten in Halbnah- und Großaufnahmen dem Außenstürmer George Best beim Spiel Manchester United gegen Coventry folgen oder wie Douglas Gordon und Philippe Parenno in "Zidane - A 21st Century Porträt" (2007) mit 17 Kamera den französischen Star Zinedine Zidane während eines kompletten Spiels zwischen Real Madrid und FC Villareal beobachten oder aber wie Stephen Chow mit "Shaolin Soccer" (2001) den Sport als Kung-Fu-Ballett neu erfinden.