Freundliche Übernahme

Eine Sammlung ist immer ein ganz persönlicher Ausdruck der Person, die diese zusammengetragen hat; sie zeigt und erzählt von subjektiven, individuellen Kriterien oder obsessiven Vorlieben dessen, der hier eine Auswahl getroffen hat. Sammlungen sind Katalysatoren – sowohl für die eigenen als auch für fremde Augen. Wie verhält es sich nun, wenn Künstler sammeln? Sammeln sie anders? Und was sammeln Künstler, wenn sie sammeln? Stehen die jeweiligen Schwerpunkte in Verbindung zum eigenen künstlerischen Werk? Wird in der Auswahl ein spezieller Blick, eine andere Form der Wahrnehmung oder eine unerwartete Vorliebe deutlich?

Diesen Fragen widmet sich die Ausstellung "Freundliche Übernahme". Mit der Präsentation von bisher kaum gesehenen Sammlungen zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler lenkt Marta Herford die Aufmerksamkeit auf ein bisher nur selten thematisiertes Phänomen, das einen überraschenden und authentischen Einblick in die Gedankenwelt von Künstlern ermöglicht. Zugleich aber stellt sich das Museum auch selbst wieder neu in Frage: Was geschieht, wenn Künstler Museum machen? Und welcher Weg liegt zwischen dem künstlerischen Labor einer privaten Sammelleidenschaft und dem musealen Auftrag für ein kollektives Gedächtnis?

Öffnen Künstler die Türen ihrer Ateliers, offenbart sich fast immer ein ganz eigenwilliger Kosmos des visuellen Denkens. Denn anders als vielleicht vermutet finden sich hier nicht nur Farben, Gips und Leinwand, Computer, Kameras und Werkzeuge, sondern auch gar Wundersames zwischen Alltagsleben und Weltkultur. Wenn aber aus dem zufälligen Zusammentragen interessanter Gegenstände oder Kunstwerke Anderer plötzlich eine Leidenschaft wird, dann werden Künstler zu Sammlern. Und so öffnet sich bisweilen ein völlig unerwarteter Blick auf die Welt und ihre Besonderheiten: Da trifft man dann auf verblüffende Sammlungen von Samurai-Schwertern oder Jagdmessern, auf skurrilste Nippes-Figuren und Alltagsfundstücke, auf exquisite Kunstwerke, überwältigende Bibliotheken oder Fotosammlungen.

Mit "Freundliche Übernahme" präsentiert Marta Herford ein ebenso einmaliges wie ambitioniertes Ausstellungskonzept, das sich mit dem bisher weitestgehend noch unerforschten Aspekt der "Künstler-Sammlung" befasst. Sieben zeitgenössische Künstler geben zum Teil erstmals Einblick in das, was sie aus ihrer Faszination an der Welt zusammengetragen haben. Zur "freundlichen Übernahme" stellt ihnen Marta Herford dafür je einen Raum zur Verfügung, den sie ganz nach ihren Vorstellungen und manchmal auch im Dialog mit dem eigenen Werk in ihr sehr persönliches "Museum der Leidenschaft" verwandeln. Räume als Gesamtkunstwerke, als Inszenierungen der Lust am Staunen, aber auch als höchst anregendes Netz der Ideen und Verweise.

Zwischen wissenschaftlichem Forscherdrang und ästhetischer Verführungskraft, zwischen persönlichen Geschichten und Weltgeschichte bewegen sich diese Sammlungen weit außerhalb dessen, was gewöhnlich in Museen und Ausstellungen zu finden ist. Im Gegensatz zu klassischen Museumssammlungen sind Künstlersammlungen nicht-hierarchische und nicht-wissenschaftliche Zusammenstellungen, in denen oftmals die herkömmlichen Grenzen zwischen Hoch- und Populärkultur, zwischen industrieller Perfektion und handwerklicher Einfachheit, zwischen Wertvollem und Wertlosem verschwimmen. Wenn Künstler gezielt Kunst sammeln – ob alte Meister oder Zeitgenössisches –, dann offenbart sich darin oft eine Quelle für Anregungen, Einflüsse und Inspiration in Bezug auf das eigene Werk.

Beim Betreten der einzelnen Galerien im Marta Herford wird der Besucher jedes Mal in einen ganz eigenen Kosmos eintauchen, in dem sich die persönlich zusammengetragenen Exponate der KünstlerInnen auf höchst unterschiedliche Weise mit einer künstlerischen Sicht auf die Welt und einem eigenen Werk verbinden. Zugleich wird mit dem abwechslungsreichen Parcours durch die schwingende, offene Architektur von Frank Gehry das Museum Marta Herford seinen Charakter als Ideenlabor weiter fortführen.

Mit dem Vorhaben, zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler ihre persönliche Sammlung als eigenes Museum inszenieren zu lassen, eröffnet Marta Herford wieder einmal neue Perspektiven auf ein bisher nahezu unbekanntes und unerforschtes Gebiet. Das Außergewöhnliche dieser Ausstellung besteht darin, dass die überwiegende Anzahl dieser sieben Künstlersammlungen zum ersten Mal überhaupt in der Öffentlichkeit sichtbar wird. Damit bietet Marta Herford den Besuchern einzigartige Einblicke in bisher meist unbekannte Bereiche der Gedankenwelt von Künstlern.

Parallel dazu aber stellt sich Marta Herford auch als Museum immer wieder selbst zur Diskussion. Die unkonventionellen und ideenreichen Zugriffe auf die vorhandenen Räume ebenso wie die Frage danach, in welcher Form Malerei, Fotografie, Artefakte oder Nippes präsentiert und zum Sprechen gebracht werden können, thematisieren den Kern musealen Ausstellens. Wie wollen wir mit Bildern und Räumen denken, wie sehen wir? Und welche Konventionen sind uns lieb, während wir genüsslich die Aufkündigung anderer Vereinbarungen beobachten. Künstler sind gleichermaßen Ideengeber und Störer – mit ihren Werken, aber von Zeit zu Zeit auch mit konkreten Interventionen in den "Normalbetrieb" im Haus.


Freundliche Übernahme
Künstler zeigen ihre Sammlung
Ein Ausstellungsprojekt von Marta Herford
28. Juni bis 5. Oktober 2014