Filmkontinent Australien

Die große Frühjahrs-Retrospektive des Filmmuseums widmet sich einem ganzen Kontinent: dem Kino Australiens und im Besonderen der Spielfilmproduktion down under.

Wenngleich einzelne australische Spielfilme tief im kollektiven Gedächtnis verankert sind – bspw. Crocodile Dundee, Muriel’s Wedding, Babe, The Adventures of Priscilla, Queen of the Desert oder die Mad Max-Tetralogie – auf der Karte des Weltkinos ist Australien eher terra incognita denn erschlossenes Land. Die Retrospektive, die mehr als 50 Spielfilme umfasst, trägt diesem Umstand Rechnung: erstmals wird es in großem Umfang möglich sein, Schlüsselfilme wie auch Obskures und Randständiges aus 100 Jahren Filmproduktion zum Teil erstmals in Österreich auf der Leinwand zu sehen.

„Australisches Kino“: was ist das überhaupt? Die Frage nach einem autochtonen Kino beschäftigte die lokale Filmproduktion und Filmkritik von Beginn an. Außerhalb des Commonwealth ist es kaum bekannt, dass Australien zwischen 1900 und 1911 eine der umtriebigsten Filmindustrien weltweit hatte. So entstanden schon um 1906 vor entsprechenden Entwicklungen in den USA oder Großbritannien in den gerade erst unabhängig gewordenen Kolonien die ersten narrativen Langfilme; populäre Gattungen wie die des „Bushranger“-Films nahmen die Western-Welle Hollywoods und manche ihrer Topoi vorweg. Diesem ersten Boom folgte ab Mitte der 1910er Jahre ein ökonomischer Niedergang, der die Identität und das Selbstbild der „Filmnation Australien“ langfristig bestimmen sollte. Das australische Kino ist zuallererst mit sich in der Krise: Auf Konjunkturwellen künstlerisch aufsehenerregender Werke beziehungsweise internationaler Überraschungserfolge folgen immer wieder Dürreperioden, und der Marktdominanz des amerikanischen Kinos an der heimischen Kasse steht ein stetiger „brain drain“ von Filmschaffenden in Richtung USA und nach England gegenüber.

Die Frage, was denn nun genuin „australisch“ an ihrem Kino sei, zielt tief ins konfliktbeladene Herz der Nation. Australien, das sind Widersprüche, Dichotomien: eine westlich-angelsächsisch geprägte Demokratie, die Asien und dem Südpazifik näher ist als dem Mutterland; eine Nation, die sich stolz über die Emanzipation ihrer (Straf-)Kolonien vom Empire definiert und trotzdem bis weit in die Gegenwart hinein das Unrecht an ihrer indigenen Bevölkerung verleugnete und perpetuierte; eine hochentwickelte und urbanisierte Industrienation, die ungebrochen den Mythos des Outback und des Bush, also einer ungezähmten und wilden Natur beschwört.

Diese Dichotomien – Freiheit und Knechtschaft; System und Outlaws; Stadt und Land; Zivilisation und Wildnis; Schwarz und Weiß; Eigenes und Fremdes – ziehen sich auch wie ein roter Faden durch unsere Filmauswahl. Beispielhaft seien jene Filme genannt, die in den 1960er und 1970er Jahren von Besuchern des roten Kontinents gemacht wurden: von den Engländern Michael Powell (They’re a Weird Mob) und Nicolas Roeg (Walkabout, den wir bereits im März zeigten) und vom Kanadier Ted Kotcheff (Wake in Fright, vielleicht der ultimative Outback-Film). Filme, die gerade durch den unverstellten Blick von Außenseitern tief ins kollektive Unterbewusstsein des Landes zu blicken vermögen; dass sich diese Tradition bis in die Gegenwart fortsetzt, zeigen die Filme des gebürtigen Niederländers Rolf de Heer (The Tracker und Charlie’s Country).

Die Mehrzahl der Filme in unserer Schau stammen aus den 1970er und 1980er Jahren, als in Folge einer neuen Welle von Autorenfilmer/innen (poetisch als „Australian Film Renaissance“ bezeichnet) ein Filmförderungsgesetz verabschiedet wurde und eine Flut australischer Produktionen fürs Kino entstand. Prominent sind hierbei natürlich die „großen Namen“, die auch alle mit Schlüsselwerken in der Schau vertreten sind: Peter Weir, Phillip Noyce, George Miller, Bruce Beresford, Gillian Armstrong und Jane Campion. Zu entdecken sind aber auch außerhalb Australiens weniger geläufige Autoren wie Tim Burstall, Fred Schepisi, Paul Cox sowie Genre-Verweigerer und Anarchisten wie Albie Thoms und Philippe Mora, deren Filme zwischen dadaistischem Kunstanspruch, Pastiche und Trash oszillieren.

Trash, beziehungsweise Ozploitation (ein Neologismus aus „Oz“ wie „Australia“ und „Exploitation“) ist ein weiteres wichtiges Schlagwort. Geister und das Übernatürliche, derber Humor oder versteckte sowie explizite, rohe Gewalt sind wichtige Motive in der australischen Folklore. Wir zeigen, wie die Ozploitation-Welle ihrerseits Kernthemen der australischen Identität und Mentalität verhandelt. Sexkomödien wie Alvin Purple oder The Adventures of Barry MacKenzie feierten und karikierten zugleich das männliche MateshipSelbstbild. Die den Aborigines entrissene „urwüchsige“ australische Wildnis wird zum Schauplatz von Geister- und Horrorfilmen, zu denen Peter Weirs Klassiker Picnic at Hanging Rock ebenso gehört wie die Ozploitation-Schlüsselwerke Long Weekend oder Wake in Fright.

Die Auswahl demonstriert, wie fließend im australischen Kino dieser Ära die Grenzen zwischen Autor/innenfilm und Kommerzware sind: manche Filme von Vorzeigeregisseur/innen wie Weir (darunter sein Meisterwerk The Plumber) oder Bruce Beresford werden der Ozploitation zugerechnet. Grenzfälle wie Tom Cowans wildes, feministisches Historienstück Journey of Women – eine Art radikales Pendant zu Picnic at Hanging Rock – wurden ihrerseits und mit Erfolg als Exploitationfilme vermarktet.

Ebenfalls zu sehen sind Produktionen, die traditionelle Genre-Formeln mit einer spezifisch australischen Sensibilität versahen: Western (Mad Dog Morgan), Martial-Arts (The Man from Hong Kong), Biker-Movies (Stone) oder Horror in zahlreichen Spielarten (von Patrick bis Howling III). Und natürlich George Millers Mad Max-Serie, die so viele, ganz und gar australische Momente und Motive zusammenführt: den Mythos des Outlaws und Rebellen; die Liebe zum Trash, zur Verkleidung und zur Popkultur; hantige Männlichkeit, mateship und noch viel toughere Frauen; Techno-Fetisch und do-it-yourself SchrottÄsthetik; endloses, sonnenverbranntes Land (selbst wenn es wie in Fury Road in Namibia statt im australischen Outback gefilmt wurde).

Ist damit das australische Kino in all seinen Facetten erschöpfend gewürdigt? Mitnichten. Wenngleich wir mit dieser Schau einen vergleichsweise großen Beitrag zur Sichtbarmachung des Filmschaffens des „Filmkontinents Australien“ leisten, gibt es noch viel zu entdecken. Die jüngste, „zweite neue Welle“ des Aborigines-Autor/innenfilms etwa, deren Entstehen in den 1990er Jahren wir mit Schlüsselwerken wie Tracey Moffats beDevil oder dem Omnibus-Film Sand to Celluloid gerade mal anreißen können; und die reiche und enorm vielfältige Tradition des Dokumentarfilms, des Essayfilms und des ethnografischen Kinos, der wir in den kommenden Jahren einen eigenen Schwerpunkt widmen werden.

Die Retrospektive entstand mit Unterstützung des National Film and Sound Archive of Australia (NFSA) sowie der Australischen Botschaft in Wien.

Filmkontinent Australien
4. April bis 4. Juni 2019