Filmgeschichte, Familiengeschichte und Basketballträume

4. April 2008
Bildteil

Während sich Katharina Weingartner in ihrem Dokumentarfilm "Sneaker Stories" mit den durch die Turnschuhmarken geschürten Träumen junger Basketballer auseinandersetzt, versucht Marcus J. Carney in "The End of the Neubacher Project" Licht in die Nazi-Vergangenheit seiner Familie zu bringen. Neben der Präsentation dieser aktuellen Produktionen ruft die Diagonale in einer zusammen mit dem Filmmuseum Wien organisierten Retrospektive des Werks von Gerbert Rappaport auch einen Vergessenen der österreichischen Filmgeschiche ins Gedächtnis.

Mit Markenartikel und der Macht eines Logos hat sich Katharina Weingartner schon in "Knock Off – Die Rache am Logo" auseinandergesetzt, mit Basketballträumen als Flucht aus einer tristen Realität wiederum am Rande auch in ihrem Gefängnisfilm "Too Soon for Sorry". In "Sneakers Stories" erzählt die ältere Schwester von Hans Weingartner von den Träumen einer NBA-Karriere junger Basketballer in Wien, New York und Ghana. Dabei geht es nicht um Clubspieler, sondern zumeist um soziale Randgruppen, die in Basketballkäfigen in der Stadt in einer Gruppe Gleichgesinnter trainieren und spielen. In Wien sind das junge osteuropäische Migranten, in New York chancenlose Afroamerikaner im Viertel Red Hook und in Ghana ganz normale Jugendliche.

Gemeinsam ist den drei Gruppen, dass ihre Träume sich nicht in ihnen selbst entwickeln, sondern durch die Werbung für Nike und Adidas, bei der Basketballstars eine zentrale Rolle spielen, geschürt werden. Nicht nur ein Artikel, sondern mehr noch das Versprechen von Ruhm und Reichtum werden mit diesen für die Protagonisten nahezu unerschwinglich teuren Markenartikel verkauft. Weingartner, die selbst 12 Jahre in New York lebte, verzichtet darauf solche Überlegungen durch Off-Kommentar zu erläutern, und vertraut ganz auf die Erzählungen ihrer Protagonisten und ein Sounddesign, das mit viel Rap-Musik den Film vorwärts treibt. So bietet "Sneakers Stories" einen aufschlussreichen Einblick in eine Mikrowelt am Rande der Gesellschaft, verzichtet im Vertrauen auf teilnehmende Beobachtung aber doch zu sehr auf Verdichtung des Problemfelds und Untersuchung der Hintergründe. Zu schwach ausgeprägt ist so bei den drei hintereinander erzählten Episoden die dramaturgische Linie, ohne die auch ein Dokumentarfilm nicht auskommt.

Ganz subjektiv ist dagegen Marcus J. Carneys Herangehensweise, der in "The End of the Neubacher Project" der Nazi-Vergangenheit seiner Familie und damit einer Geschichte des Verdrängens und der Unfähigkeit des Trauerns – für den Regisseur ein "morbus Austriacus", eine typisch österreichische Krankheit – nachspürt. Aufregend ist der Ansatz, doch Carneys im Zeitraum von sechs Jahren entstandenes Home-Movie wirkt aufgrund des weitausholenden Gestus insgesamt ziemlich zerfahren und zu wenig konzentriert. Von der Nazi-Vergangenheit seines Großvaters, der 1938-1945 Direktor des Lainzer Tiergartens war, und seines Großonkels, der während der gleichen Zeit Wiener Bürgermeister war, bis zum Tod der Mutter spannt sich der Bogen des Films. Begräbnis letzterer und das der Großmutter die ebenfalls während der Dreharbeiten starb nehmen einen zentralen Platz ein, denn Carney argumentiert, dass sowohl die Demenz der Oma als auch der Ausbruch des Krebs bei der Mutter psychosomatisch bedingt und aus der Verdrängung der eigenen Geschichte beziehungsweise seinem Graben in der Vergangenheit resultieren.

So aufschlussreich und erschütternd auch die kurzen Interviews mit dem den Holocaust teilweise leugnenden Onkel oder dem in Amerika lebenden Vater sind, so sehr verliert sich Carney in der Fülle des Materials, wenn er beispielsweise auch noch auf die Ereignisse vom 11. September 2001 Bezug nimmt. – Weniger wäre hier zweifellos mehr gewesen, aber in erster Linie ist "The End of the Neubacher Project" sowieso als familientherapeutisches Projekt zu sehen. Ob man freilich eine so persönliche Geschichte einer breiten Öffentlichkeit präsentieren muss, ist wieder eine andere Frage.

Höhepunkt und Entdeckung der ersten Festivaltage ist zweifellos die Retrospektive der Filme von Gerbert Rappaport, der Anfang der 1930er Jahre im Gefolge von G.W. Pabst nach Hollywood kam, dann aber als überzeugter Marxist sich in der Sowjetunion niederließ. Ganz Ausdruck seiner antifaschistischen Gesinnung ist Rappaports erster eigener Spielfilm "Professor Mamlock" (1938), in dem er von einem unpolitischen jüdischen Arzt in Berlin erzählt, der erkennen muss, dass man in Zeiten der NS-Diktatur nicht unpolitisch bleiben kann. Rappaport inszenierte Friedrich Wolfs Drama ohne Schnörkel, ganz konzentriert auf die Geschichte und die Botschaft. Das verleiht "Professor Mamlock" Stringenz und Klarheit und macht ihn dadurch sowohl inhaltlich als auch formal zeitlos.