Farb-Gebäude

Seit den späten 1940er Jahren hat Rupprecht Geiger die signalhafte Intensität der nahezu monochromen Farbe, vor allem des Rot, ins Zentrum seiner künstlerischen Gestaltung gestellt. Seine Intention bestand und besteht darin, den Klang der Farbe in ihrer von innen her aufsteigenden Schwingung und ungebrochenen Ausbreitung als eine ganz eigene Energie fühlbar zu vermitteln.

Um diese innere Strahlkraft der Farbe voll zur Wirkung kommen zu lassen, tendiert Geigers Formensprache von Anfang an zu klaren geometrisierten Flächenzonen, die wie ein haltgebender Gegenpart die pulsierende Leuchtmasse ausschnitthaft umgrenzen und ihr zugleich ein scheinbar offenes Ausströmen ermöglichen. Geiger selbst hat das 1985 hervorgehoben, als er feststellte: "Die Vielfalt abstrakter Formen mit ihren oft skurrilen Umgrenzungslinien lenkt von der Farbe ab, während bei archetypischen Formen, wie Rechteck und Kreis, die Farbe unbeeinflusst hervortreten kann." Geiger verschwistert so Fläche und Raum; die magisch anmutende, leuchtende Farbe drängt in eine nur ahnbare Weite und ist dennoch als eine plastisch-fühlbare Substanz ganz gegenwärtig. Das konsequente Ausloten dieser universalen Gestaltwerte als einer Art "Urzustand" gibt Geigers Werken ihre erregend-suggestive Dimension.

Es mag verwundern, dass der in München geborene Rupprecht Geiger als Maler Autodidakt ist, auch wenn dem einzigen Sohn des Malers Willi Geiger (1878 – 1971) die bildkünstlerische Arbeit natürlich vertraut war und entsprechende Anleitungen seines Vaters ihm einen professionellen Einstieg in die freie Gestaltung erleichterte. Geiger zog es zunächst aber stärker zur Architektur, zu deren Studium er von 1926 – 1929 die Kunstgewerbeschule und von 1933 – 1935 die Staatsbauschule in München besuchte. Diese Tätigkeit als Architekt hat er in den 1930er Jahren voll ausgeübt und trotz seiner späteren engagierten Hinwendung zur Malerei auch nebenher bis 1962 weitergeführt. Die unmittelbare Beziehung zur Architektur sollte für sein gesamtes künstlerisches Werk eine nicht unerhebliche Rolle spielen, nicht zuletzt wegen ihrer Verankerung in einer gleichsam spielerischen Funktionalität.

Die viermalige Teilnahme an der documenta, seine Berufung als Professor an die Düsseldorfer Kunstakademie von 1965 bis 1976 und seine Mitgliedschaft in der Akademie der Künste Berlin (West) 1970 sind nur einige der anerkennenden Resonanzen, die er für sein stringent entwickeltes Werk erfuhr. Seit 1957 arbeitete er an monochromen Bildern, in den 1960er Jahren beherrschte Blau die großformatigen Bilder und das ab 1967 dominierende Motiv des gedrückten Kreises wurde Mitte der 1970er Jahre durch leuchtende Rechtecke abgelöst. Geiger sprühte nun die Farbe auf den Bildträger, so dass die Werke ihre individuelle Handschrift verloren und sich der Eindruck des Immateriellen immer mehr verstärkte – mit einer bleibenden Vorliebe für die Farbe Rot in ihren verschiedensten Facetten.

Die in der Oberen Halle und in den Graphikräumen der Neuen Nationalgalerie präsentierte Ausstellung mit etwa 25 Werken des Münchener Malers, der am 26. Januar 2008 seinen 100. Geburtstag beging, bedeutet die Ehrung für einen Künstler, dessen Schaffen in der deutschen Farbfeldmalerei der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts eine herausragende Stellung einnimmt.


Katalog: Anfang August 2008 erscheint der Katalog zur Ausstellung mit Aufnahmen aus dieser Ausstellung. Mit einem Vorwort von Peter-Klaus Schuster und Beiträgen von Julia Geiger, Fritz Jacobi und Melanie Wilken, ca. 100 Seiten, ca. 60 Farbabbildungen, Preis: EUR 19,80 im Museum.

100 Jahre Rupprecht Geiger
18. Juli bis 5. Oktober 2008