Familiäre Zwänge und individuelle Freiheit – Die Filme von Ang Lee

17. Dezember 2012 Walter Gasperi
Bildteil

Wie wenigen Regisseuren der Gegenwart gelingt dem 1954 in Taiwan geborenen und seit 1978 in den USA lebenden Ang Lee die Gratwanderung zwischen Kunst und Kommerz. Mit jedem Film scheint er sich neu zu erfinden, wechselt von der Jane Austen-Adaption zur Comic-Verfilmung, vom Martial-Arts-Film "Crouching Tiger, Hidden Dragon" zum Liebesfilm "Brokeback Mountain" und dennoch ziehen sich Motive und Themen durch alle seiner bisherigen elf langen Spielfilme. Sein zwölfter Film "Life of Pi" läuft am 26. Dezember in Österreich, Deutschland und der Schweiz in den Kinos an.

Dass er als Taiwanese in den USA lebt, hat Ang Lee in keinem seiner Filme thematisiert und hat auch nicht die asiatische Community in den USA ins Zentrum seines Werks gerückt. Nur bei seinen ersten drei Filmen hat er am Drehbuch mitgeschrieben - schon damals zusammen mit James Schamus, der auch alle seine folgenden Drehbücher verfasst hat. Entstanden aber die ersten drei Filme noch nach originalen Drehbüchern, so handelt es sich bei den folgenden um Adaptionen fremder Stoffe.

Ein Bruch zwischen der "Father Knows Best"-Trilogie, mit der Ang Lee sein filmisches Schaffen begann, und den folgenden Filmen, kann man zwar darin sehen, dass diese ersten Filme noch um Taiwanesen – und teils auch um Taiwanesen in den USA – kreisen. Sieht man darin allerdings einen Bruch, so wird man auch in den folgenden Filmen Lees stets neue Brüche finden: Zwischen der Jane Austen-Verfilmung "Sense and Sensibility" und der Comic-Verfilmung "Hulk", zwischen dem Martial-Arts-Film "Crouching Tiger, Hidden Dragon" und dem Spionage-Liebesdrama "Lust, Caution".

Größer als das Trennende ist aber das Verbindende. Leicht lässt sich so erkennen, dass die Filme Lees immer wieder um den Gegensatz von gesellschaftlichen – und das heißt immer wieder auch familiären – Zwängen und individueller Freiheit kreisen. Da ist ein junger Mann schon in Lees Debüt "Pushing Hands" (1992) in der Zwickmühle zwischen der Loyalität zu seinem Vater und der Liebe zu seiner Frau, die alle drei in einer Wohnung leben. Aber präsent ist auch schon der Gegensatz zwischen der Moderne, verkörpert durch die am Computer arbeitende amerikanische Frau, und der Tradition, verkörpert durch den asiatischen Vater, der Taichi-Meister ist.

Vor das Problem Familie oder Liebe wird auch ein seit Jahren in New York lebender asiatischer Immobilienmakler in "The Wedding Banquet" (1993) gestellt: In der Fremde lebt der Protagonist in einer harmonischen homosexuellen Beziehung, von der seine traditionellen Eltern nichts wissen. Als diese ihn zu einer Heirat drängen, stimmt er zum Schein zu, doch überraschend reisen die Eltern dann sogar an und es entwickelt sich ein kompliziertes Versteckspiel.

Nicht offen miteinander reden können auch die drei erwachsenen Schwestern und ihr Vater in "Eat Drink Man Woman" (1994), bis sie vor überraschende Tatsachen gestellt werden. So fern für einen Asiaten die Welt Jane Austens auf den ersten Blick zu sein scheint, so nahe dürfte ihm aber die dort zu findende Gefühlsverdrängung sein, sodass es für Lee vom Dekor und den englischen Schauspielern abgesehen kein allzu großer Sprung zur Verfilmung von "Sense and Sensibility" (1995) war.

Werden dort Gefühle durch gesellschaftliche Normen unterdrückt, sind sie in "The Ice Storm" (1997) in einer grenzenlosen Liberalität längst verschwunden. Unfähig zur Kommunikation breitet sich im Amerika der frühen 1970er Jahre eine zwischenmenschliche Eiszeit aus. In die amerikanische Geschichte tauchte er dagegen mit dem Bürgerkriegsfilm "Ride With the Devil" (1999) ein.

Um die großen Themen individuelle Freiheit und gesellschaftliche Regeln, die das individuelle Glück verhindern, geht es auch im Martial-Arts-Film "Crouching Tiger, Hidden Dragon" (2000) und "Hulk" (2003) ist wohl nicht zuletzt deswegen an den Kinokassen geflopt, weil Lee eine Comic-Verfilmung mit Anspruch plante und der Mix aus Spektakel und Gehalt weder ein erwachsenes Publikum noch ein jugendliches anlocken konnte. Wie andere Lee-Figuren will nämlich Bruce Banner aus der Haut schlüpfen, wird grün vor Zorn und riesenhaft, verliert die Kontrolle über sich und lebt im Zustand des Zorns seine Gefühle radikal aus.

Wo hier der Trieb regiert, herrscht in "Brokeback Mountain" (2005) Triebunterdrückung: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, können Ennis del Mar und Jack Twist ihre Liebe nur außerhalb der Gesellschaft in der Abgeschiedenheit der Bergwelt ausleben und fügen sich sonst in ein unerfülltes bürgerliches Leben. Und förmlich aus dem Körper herausfahren möchte in "Lust Caution" (2007) auch das Paar mit ihren akrobatischen Sexszenen, bleibt aber tragisch gefangen in den gesellschaftlich-politischen Verhältnissen.

Dieses Politisch-Gesellschaftliche ist bei Lee immer nur Hintergrund, Katalysator, der das Private in Gang setzt. Deutlicher präsent ist dieser Hintergrund in "The Ice Storm" oder in seinem – später entstandenen – (zeitlichen) Vorgängerfilm "Taking Woodstock" (2009). Auch in letzterem gibt es die familiären Zwänge und die konservativ latent antisemitische Provinz, doch durch die Zeitumstände, vor allem durch die Hippiebewegung, die in den Catskill Mountains kommt um Woodstock zu feiern, kommt nicht nur bei Elliot Tiber, sondern auch bei seinem Vater etwas in Bewegung, bricht etwas auf. – Hier ermöglichen die gesellschaftlichen Bedingungen eine Selbstbefreiung und Identitätsfindung und - nach "The Wedding Banquet" und "Brokeback Mountain" zum dritten Mal in einem Film des bekennenden Heterosexuellen Lee - ein homosexuelles Coming-Out .

Literatur zu Ang Lee:
Pekler, Michael / Ungerböck, Andreas, Ang Lee und seine Filme, Schüren Verlag, Marburg 2009, 192 S., € 24.90

Isabell Gössele, Das Kino des Ang Lee. Im Atem des Verborgenen, Tectum Verlag, Marburg, 2009, 349 S., € 29,90

Koebner, Thomas / Liptay Fabienne / Bauer, Matthias, Film-Konzepte 5: Ang Lee, Edition text + kritik, München 2007. 104 S., € 14 / / sFr 24.90