Erste Flasche unter dem Himmel

24. September 2012 Kurt Bracharz
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Der FALSTAFF Nr. 6/12 überraschte mich, was nicht oft vorkommt. Die Überraschung war ein Artikel über Mao Tai (auch Maotai oder Moutai geschrieben) beziehungsweise das, was da über diesen Schnaps stand, den ich viele Jahre lang nach jedem chinesischem Essen getrunken habe, wenn er verfügbar war – in der Schweiz zum Beispiel bekommt man in Restaurants keinen Mao-Tai wegen seines Alkoholgehalts über der dort geltenden 50-Prozent-Grenze. Beispielsweise hat der bekannte und bei uns verbreitete Kweichow Moutai 53 Volumensprozent, es gibt den Brand aber von 35 bis 65 Prozent.

Mao Tai hat zweifellos einen intensiven Geschmack. Im Internet steht unter anderem die Anfrage eines deutschen Ingeneurs, der oft mit chinesischen Geschäftspartnern trinken muss, an eine Kochseite, wie man den Geschmack von Mao Tai möglichst schnell wieder los wird. So gut wie alle Antworten lauten nicht nur, dass das unmöglich sei, sondern drücken auch Abscheu vor dem Geschmack des Mao Tai aus. Und natürlich werden immer wieder dieselben alten Geschichten erzählt, wie etwa Nixon beinahe seinen Schreibtisch im Weißen Haus abgefackelt hätte, als er seiner Tochter zeigen wollte, wie gut Mao Tai brennt.

Peter Hämmerle, der Autor des FALSTAFF-Artikels, versucht, den Geschmack von Mao Tai zu beschreiben: "Süßlich im Duft, etwas alkoholisch stechend, gleichzeitig nussig, röstig, säuerlich, blumig und getreidig. Am Gaumen konsequent, nur anfänglich etwas spitz, danach weich, harmonisch, karamellig-getreidig, aber auch grünlich-grasig." Er zitiert Cyril Camus, den Seniorchef des Hauses Camus Cognac, das die Duty Free Läden mit Mao Tai bestückt: "Das Überraschendste für jemanden, der zum ersten Mal Maotai versucht, ist wohl sein aromatischer, milder Geruch. Er ist zwar stark, am Gaumen aber über die Maßen weich."

Bei "süßlich im Duft und weich am Gaumen" kann ich mit, das Nussige, Blumige und Getreidige sind mir aber zuvor nie aufgefallen. Ich habe Mao Tai den parallel angebotenen diversen Bambus- und Kräuterschnäpsen immer vorgezogen, weil sein intensiver Geschmack alle noch vom Essen her im Mund vorbliebenen Aromen zuverlässig wegspült und weil sein hoher Alkoholgehalt ein angenehm warmes Gefühl im Magen hervorruft. Mao Tai ist das ideale Ende jeder chinesischen Mahlzeit, einer schlechten, deren Eindruck er verwischt, wie einer guten, deren Eindruck er ebenfalls verwischt.

Mao Tai besteht aus Sorghum-Hirse mit etwas Weizenzusatz, natürlichen Hefen und dem Wasser vom Roten Fluss, wobei das Gebiet um das Bergnest Maotai in der Provinz Guizhu, das dem Schnaps den Namen gegeben hat, offenbar sehr früh einen in China unüblichen Umweltschutz erfahren hat, um das Wasser auch wirklich weiterhin für die Schnapsproduktion verwenden zu können. Die insgesamt etwa fünf Jahre dauernde Herstellung von Mao Tai ist kompliziert, es sind mehrere Fermentationen und Destillationen notwendig und zuletzt reift der Hirsebrand in 250-Liter-Amphoren, bis er zur Abfüllung in den typischen weißen Flaschen mit verschiedenen Jahrgängen verschnitten wird.

Das Image dieses Schnapses ist in den letzten Jahren stark hochgepusht worden, der mongolische Schriftsteller Ce Shaozhen schrieb seinerzeit noch: "In meiner Jugend war der Name so gut wie unbekannt. (...) In den Jahren 1932 bis 1934 war der Guomindang-General He Yingquin der Leiter der hiesigen Stelle des Militärkomitees der Nanjing-Regierung. Er stammte aus der Provinz Guizhou. Auf den Diners, die er gab, ließ er Schnaps aus seiner Heimat servieren. So fand der Maotai den Weg in die vornehmen Kreise." Dort soll er mittlerweile im obersten Sektor angelangt sein, die Kader sollen nur entweder Mao Tai oder Château Lafite trinken. Bei Staatsbanketten gibt es immer Mao Tai, und er ist das offizielle Geschenk chinesischer Botschafter in fremden Ländern.

Aber zur Geschichte des Mao Tai wird im Internet behauptet, er sei schon während der Quing-Dynastie (1644 – 1911) in großem Maßstab hergestellt worden. Goldmedaillen erhielt er auf der Panama-Pazifik-Ausstellung in San Francisco 1915 und auf den Pariser Weltausstellungen 1985 und 1986. Zhou Enlai sah im Maotai ein "Wunderelixier der Außenpolitik" und den zu Alkohol destillierten "Geist Chinas", Kissinger warnte Nixon vor dem "tödlichen Gebräu", das "nur deshalb nicht statt Kerosin verwendet wird, weil es sich zu leicht entzündet".

Die 31 Meter hohe Mao Tai-Porzellanflasche als rot-weiße Pagode mit Schraubverschluss auf einer Bergkuppe beim Bergdorf Maotai ist das größte kommerzielle Werbeobjekt der Welt. Eine kalligrafierte Steininschrift daran lautet: "Erste Flasche unter dem Himmel", ein Titel, der eigentlich Politikern vorbehalten bleiben sollte.