In einem Moment das Ganze

Die Performance "Still Hinhören Stille", die am 28. und 29. Juni 08 im Bregenzer Palais Thurn & Taxis zu sehen war, dauerte dreieinhalb Stunden – einen Moment? Es war ein langer, ruhiger Zeitraum, der das Momentum (lateinisch: Bewegung, Bewegkraft) der Körper sichtbar machte.

Zwei gegensätzliche Eigenschaften charakterisieren die Performance: einerseits ist die als Ausstellung im Atelier bzw. im Palais konzipierte Aufführung absolut niederschwellig im Zugang: jeder kann kommen und gehen, schauen, plaudern, knabbern, trinken, sitzen, am Boden lungern, den PerformerInnen in den Weg treten und vieles mehr, woran ZuschauerInnen im ersten Augenblick gar nicht denken. Kinder sind von Anfang an dabei und bleiben über Stunden aufmerksam bei der Sache: sie schauen hin, sie fragen ihre BegleiterInnen, sie gehen hin und wollen ganz genau sehen.

Andererseits ist die Performance karg (ohne Musik, ohne Video), akademisch-streng im Bewegungsspektrum (teilweise!) und völlig abgeschlossen von den ZuschauerInnen. Der Blick der PerformerInnen ist abgeschlossener als es eine "vierte Wand" je sein könnte. Das wirkt – keine/r aus dem Publikum wagt es, eine Grenze zu überschreiten. Die Performance ist eine Einladung zur Meditation über die Schrift, die von Herta Spiegel zu Hauf produziert wird: beschriftete Rollen bilden schon nach der ersten halben Stunde Hügel, die von einer Performerin als Material zum Durchkriechen verwendet wird. Herta Spiegel klebt Schrift und Text an eine Wand in der UV-Kammer und schreibt mit dem genässten Schwamm auf den Boden: der Text beginnt aufzutrocknen, ehe er zu Ende geschrieben ist – eine durchaus ungewöhnliche Erfahrung beim Schreiben.

Wer eine/n Performer/in lange genug beobachtet, sieht, wie sich aus dem Körper, von Innen, aus einem Bedürfnis die Bewegung heraus entwickelt und sich immer wieder zu Duetten und Terzetten formt. Hier wächst die Bewegung organisch, das Repertoire der bekannten Abfolgen wird bereichert um eine Art von vegetabilem Wachsen und Vergehen: als wären die Körper aus Fruchtgummi, der das Knochenskelett umschließt. Ohne strengen Geist, aber mit pflanzlich-lebendiger Seele hängen sie schlaff, kleben am Boden, geben der Schwerkraft nach und erfinden unbekannte Bilder der Berührung. Selten ist ein Keuchen, das Zeichen der akustischen Emanzipation der Tanzschaffenden zu hören.

Die ZuschauerInnen, sie bevölkern in zunehmender Dichte alle Räume der Performance, bleiben bei der Stange: wer geht, kommt binnen Kurzem wieder - außer jenen, die sich in der Betrachtung der ausgezeichneten Fotos der Performance in Bludenz verlieren. Wer aus der sommerlichen Wärme kommend im Keller des Thurn und Taxis-Palais friert, sucht die Nähe der Scheinwerfer und bleibt.

Vielleicht wäre es möglich gewesen, in einem einzigen Moment, die Idee und die Natur der Performance zu erfassen, doch dieser Moment hat gefesselt und dazu geführt, dass man blieb, schaute und genoss: die Bewegung in der Stille.

Juliane Alton