Ein Panorama für den Kunstraum

Das Panorama wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts als Medium zur Landvermessung entwickelt. Doch schon kurz darauf bediente sich die bildende Kunst dieser Form der Visualisierung von Landschaft. Von Beginn an übte diese Darstellungsweise eine Faszination auf das Publikum aus, da sie dem Betrachter ermöglicht, sich selbst als Teil der dargestellten Szene zu erfahren.

Fides Becker hat für den Kunstraum Dornbirn auf dieses raumgreifende, dennoch zweidimensionale Medium zurückgegriffen und ein Panorama realisiert. Im Fokus dieser Arbeit stehen für sie sowohl die Aneignung von Natur im kulturellen Kontext als auch die Mechanismen der menschlichen Wahrnehmung. Dabei bezieht sie sich einerseits auf die Erkenntnis, dass der Mensch die Umwelt fragmentarisch wahrnimmt und die sukzessive perzipierten Elemente erst im Kopf zusammengesetzt werden. Andererseits beschäftigt sie sich mit dem Gedanken, dass unsere Wahrnehmung eine Synthese kognitiver Prozesse, schon vorhandenem Wissen und individueller Erfahrungen sowie gesellschaftlicher Prägungen ist.

Das 4 Meter hohe und 15 Meter breite Panorama wurde speziell für den Kunstraum konzipiert, wobei seine halbkreisförmige Anordnung eine Referenz an die Apsis einer Basilika darstellt. War die Apsis ursprünglich der Ort, wo der König saß oder das Heiligtum aufbewahrt wurde, steht hier der Besucher mit seiner Wahrnehmung im Mittelpunkt. Als Motive hat die Künstlerin Landschaften aus der Umgebung von Dornbirn ausgewählt, wobei Türen und Wandfragmente als Bildträger dienen, die sie in der Region gesammelt und vor Ort bemalt hat. Diese Voraussetzungen verleihen dem Projekt ein hohes Maß an Ortsspezifität.

Dabei ist die Wahl der Türen keine rein formale Entscheidung. Vielmehr liegt die Überlegung zugrunde, dass der Mensch sich mit Türen einerseits von der Natur abgrenzt, diese anderseits aber auch wie eine Haut funktionieren: Sie bieten Schutz, sind aber zugleich durchlässig für Einflüsse von außen. Oft mit ausgesägten und bemalten Ornamenten verziert und von Gebrauchsspuren gezeichnet, werden die Türen zu Trägern von Geschichte und Geschichten. Die Künstlerin integriert diese in ihre Malerei, sodass sich verschiedene Realitätsebenen durchsetzen und überlagern. So durchdringen sich Fläche und Raum, Drinnen und Draußen, Imagination und Wirklichkeit, Natur und Kultur.

Der Betrachter sieht sich mit verschiedenen Deutungsangeboten konfrontiert, die in der dialektisch konzipierten Arbeit immer wieder hinterfragt werden. So wird der Trompe-l`œil-Charakter durch die Bildträger gebrochen, maschinell gefertigtes gegen den individuellen Duktus der Malerei gesetzt. Idyllische Szenen werden als trügerische Fantasien entlarvt. Da eine einheitliche Deutung in einen Reduktionismus führen würde, kommuniziert die Arbeit letztlich die durchaus widersprüchliche Vielschichtigkeit der Realität.

Fides Becker wurde 1962 in Worms (Deutschland) geboren. Sie studierte an der Städelschule in Frankfurt am Main, der Academie van Beeldende Kunsten in Rotterdam, sowie an der Hochschule der Künste in Berlin. Nach 11 Jahren in Rotterdam, lebt und arbeitet sie seit 1996 wieder in Frankfurt am Main. Die Künstlerin hat zahlreiche Stipendien erhalten, unter anderem das Startstipendium des FONDS in Amsterdam (1990), ein Stipendium des DAAD (1994), ein Aufenthaltstipendium des Künstlerhaus Schloß Balmoral (2003) sowie mehrere Reise- und Arbeitstipendium der hessischen Kulturstiftung. Fides Becker hat international zahlreiche Gruppen- und Einzelausstellungen realisiert.


Fides Becker - Ein Panorama
26. Juni bis 16. August 2009