Ein Meister der spielerisch leichten poetischen Komödie: René Clair

12. November 2018 Walter Gasperi
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Von der Stummfilmzeit bis in die 1960er Jahre und von Frankreich über England bis in die USA spannt sich das Werk des am 11. November 1898 in Paris geborenen René Clair. Nach Versuchen im Experimentalfilm fand er in beschwingten musikalischen Komödien seinen Stil. Das Filmpodium Zürich widmet dem am 15. März 1981 verstorbenen und heute etwas in Vergessenheit geratenen Regisseurs anlässlich seines 120. Geburtstags eine Retrospektive.

Eigentlich wollte der als Sohn eines Seifenfabrikanten geborene René Chomette Schriftsteller werden. Durch Zufall kam er 1920 als Schauspieler zum Film, nahm das Pseudonym René Clair an, um eine spätere Karriere als Schriftsteller nicht zu gefährden, wurde aber bald Regieassistent und drehte 1923 mit "Paris qui dort" seinen ersten eigenen Film.

Schon in diesem Debüt, in dem er von einem Gelehrten erzählt, der durch ein im Schlaf versunkenes Paris zieht, zeigt sich seine Lust am Experiment, wenn er mit einfachen Mitteln wie Filmrücklauf und Stillstand verblüffende Effekte erzeugt.

So zog er damit die Aufmerksamkeit der Surrealisten und Dadaisten auf sich und der Schriftsteller und Maler Francis Picabia engagierte ihn für den Kurzfilm "Entr´acte" (1924), der als Zwischenakt des Balletts "Relâche" gezeigt werden sollte. Clair entwickelte darin ein avantgardistisches Feuerwerk, in dem er Menschen, Gegenstände und die Kamera zum Tanzen brachte.

Von diesen experimentellen Anfängen wandte er sich mit der Komödie "Un chapeua de paille d´Italie" ("Der Florentinerhut", 1927) ab. Mit der Geschichte um die Jagd nach einem Florentinerhut, die zu zahlreichen Missverständnissen und Verfolgungsjagden führt, fand er seinen tänzerisch-musikalischen Stil, der ihn berühmt machte.

Dem Tonfilm stand er zunächst skeptisch gegenüber, verstand es aber wie nur wenige in dieser Zeit die neue Erfindung schon in "Sous les toits de Paris" ("Unter den Dächern von Paris", 1930) einfallsreich zu nutzen. Geräusche und Dialog setzte er bei dieser melancholisch-ironischen Schilderung des Lebens einfacher Pariser nur dort ein, wo sie eine echte Bereicherung darstellten.

Gesellschaftskritische Töne schlug er mit "À nous la liberté" ("Es lebe die Freiheit", 1932) an, in der ein kleiner Gauner zum Fabrikbesitzer aufsteigt. Dort führt er die effektiven Arbeitsmethoden ein, die er aus dem Gefängnis kennt, bricht aber schließlich mit dieser Ausbeutung und verschenkt seine Fabriken an die Arbeiter.

In der entlarvenden Schilderung der Fließbandarbeit gilt dieser Film als Vorläufer von Chaplins "Modern Times", die Produktionsgesellschaft strebte sogar einen Plagiatsprozess gegen Chaplin an, doch Clair verhinderte dies, da er sich geehrt fühlte, Chaplin inspiriert zu haben.

Auf die poetisch-romantische Schilderung des Pariser Alltags in "Quatorze juillet" ("Der 14. Juli", 1934) folgte mit "Le dernier milliardaire" ("Der letzte Milliardär", 1934) eine anarchisch-politische Satire im Stil der Marx Brothers, die beim Publikum durchfiel. Verbittert ging Clair nach England wo er unter anderem mit "The Ghost Goes West" ("Ein Gespenst geht nach Amerika", 1935) eine weitere verspielte poetische Komödie drehte.

Nur kurz kehrte er 1939 nach Frankreich zurück und flüchtete bei Kriegsbeginn ins Exil nach Hollywood. Nach einem Misserfolg mit dem Abenteuerfilm "The Flame of New Orleans" ("Die Abenteurerin", 1941) konnte er mit Filmen wie "I Married a Witch" ("Meine Frau, die Hexe", 1942) und "It Happened Tomorrow" ("Es geschah morgen", 1944) an die Leichtigkeit und Poesie seiner früheren Filme anknüpfen. Mit "And then there were none" ("Das letzte Wochenende", 1945) drehte er in dieser Zeit aber auch eine klassische Agatha-Christie-Verfilmung.

Zurück in Frankreich gelang es ihm mit "Le silence est d´or" ("Schweigen ist Gold", 1947), in dem er mit liebevoller Ironie von der Stummfilmzeit erzählte, und "Les belles de nuit" ("Die Schönen der Nacht", 1952), in dem ein vom Lärm seiner Umwelt gestörter Musiker in eine Traumwelt flüchtet, souverän, dort anzuschließen, wo er vor dem Zweiten Weltkrieg aufgehört hatte.

Von den Neueren der Nouvelle vague, die damals noch als Kritiker der Cahiers du cinéma" arbeiteten, wurde er freilich dem wenig geschätzten "Cinéma de qualité", das zwar handwerkliche Qualität bietet, aber dem es an Originalität fehlt, zugeordnet.

Nochmals ganz bei sich war Clair bei "Porte de Lilas" ("Die Mausefalle", 1956), in dessen Mittelpunkt zwei Tagediebe stehen, die einen entflohenen Verbrecher in ihrem Haus verstecken. Mit einfühlsamer Kameraarbeit beschwor Clair hier nochmals bestechend das Milieu und die Atmosphäre der Pariser Vororte, die durch die melancholischen Chansons von Georges Brassens verstärkt wurde.

Mit Aufkommen der Nouvelle vague Anfang der 1960er Jahre sank Clairs Stern aber. Wenig Beachtung fanden seine letzten Filme und er widmete sich zunehmend der Schriftstellerei und der Opernregie, ehe er am 15. März 1981 im Alter von 82 Jahren in Neuilly–sur-Seine starb.

Ausschnitt aus À nous la liberté"