Der allegorische Wettstreit von Schönheit, Vergnügen, Zeit und Ernüchterung endet als atemberaubender Triumph der Musik im Feldkircher Montforthaus. Dass das exzeptionelle Oratorium von Georg Friedrich Händel zum Höhepunkt des diesjährigen Festivals wird, war absehbar, doch wie ergreifend und vielschichtig der Bogen beim Thema "Sehnsucht und Verwandlung" gespannt wird, überrascht mit jeder Veranstaltung aufs Neue.
Man sollte sich vom Bild eines Georg Friedrich Händel (geb. 1685 in Halle an der Saale; gest. 1759 in London) lösen, das ihn als alten Mann in üppiger Leibesfülle zeigt, sondern an einen smarten, sehr umworbenen Jüngling von zwanzig Jahren denken, bei diesem seinem Frühwerk. Nachdem er schon mehrmals Angebote von adeligen Mäzenen für eine Italienreise abgelehnt hatte, reiste er 1706 auf eigene Kosten für vier Jahre zu Studien dorthin. Er ließ damals schon zwei Kisten mit eigenen Kompositionen in Hamburg zurück. Sein erstes Oratorium komponierte er unter der Obhut von Kardinal Benedetto Pamphilj, einer der Mächtigen im Vatikan, der auch das Libretto verfasste. Als in Rom hoch gehandelter Jungstar, traf Händel auf Altmeister Arcangelo Corelli, den berühmtesten Geiger und Komponisten seiner Zeit. Dieser war dann auch Konzertmeister bei der Uraufführung, und Händel musste sich für die Violinsoli besonders ins Zeug legen.
Solche Einstiegshilfen vermittelte Folkert Uhde, Co-Intendant und Konzertdesigner dieser Produktion, vor dem Konzert im Talkshow-Format. "Die durch den Sieg über die Zeit und die Ernüchterung geläuterte Schönheit" lautete der ursprüngliche Titel des Oratoriums. Dies wäre jedoch für die kirchlichen Auftraggeber die falsche Botschaft gewesen, auch wenn der die Hauptrolle spielenden Figur gerecht. Abgesehen davon waren in Rom zu dieser Zeit Opern verboten (Papst Innozenz XII. ließ gegen Ende des 17. Jhdt. sogar die drei noch existierenden öffentlichen Theater Roms zerstören, um dem Sittenverfall durch die „musica profana“ Einhalt zu gebieten), und Frauen durften sowieso nicht auftreten.
Die Aufführung der Montforter Zwischentöne ist halbszenisch. Ein Steg ragt weit ins Publikum, Regie und Videosequenzen verdichten die zeitlose allegorische Erzählung, projizierte markante Sätze leiten durch die Handlung. "Für Sorgen ist im Alter genug Zeit". Die wunderbare Sopranistin Sunhae Im tut sich als Schönheit schwer, von ihrem jugendlichen Spiegelbild – sehr differenziert am verdoppelten Screen eingesetzt – zu lassen, denn Marine Madelin singt in hellem Mezzo vergnüglich vom fülligen Leben. Die beiden bleiben eigentlich lange übermütig. Mag sein, dass die Zeit ein Spielverderber ist, doch Jan Kobow stellt im Vorgespräch klar, dass diese Rolle keine bösartige ist, die Zeit ist streng und beharrt klar auf ihrem Standpunkt. Und überzeugend muss der Tenor in seiner Rolle als "Il Tempo" schon sein, was er wahrlich ist!
Händel zieht aber auch instrumentalisch alle Register. Er schiebt einfach ein kleines Orgelkonzert ein und unterstreicht es mit folgenden Textzeilen in der Partitur: "Der Jüngling mochte mit schmeichelnden Tönen Vergnügen wecken. Die Schönheit ist vom Spiel des Jünglings beeindruckt." (Dazu darf man wissen, dass Händels außerordentliches musikalisches Talent bei seinem Orgelspiel mit acht Jahren auffiel.) Wie bezaubernd ist diese Szene mit dem virtuosen Spiel von Johannes Hämmerle. Man ist entzückt, wenn das reizende Geplänkel der zwei Damen mit dem Tastenmagier auf großer Leinwand herausgezoomt wird. So wird der Boden bereitet für "Il Disinganno", die Ernüchterung, wörtlich Enttäuschung – Ende der Täuschung, die Wahrheit? Rupert Enticknap, einer der führenden jungen britischen Countertenöre, macht überragende Erkenntnisarbeit. Das Vorarlberger Barockorchester Concerto Stella Matutina spielt freilich wieder "at its best", und eine Besonderheit ist die Führungsrolle der Oboe, großartig gespielt von Alfredo Bernardini, der gleichzeitig die musikalische Leitung übernimmt.
Am Ende kommt, was kommen muss: Die Schönheit singt "Addio Piacere", und dann folgt eine unermesslich schöne Arie, begleitet in endlos langen Bogenstrichen auf der Solovioline durch die Konzertmeisterin Maria Kubizek. Da stockt der Atem, ganz still wird's im Saal, die Kerze verlöscht, die Rauchlinie verschwindet im Dunklen. Nach einigen Sekunden tosender Applaus, Standing-Ovation, alle. Was für ein Triumph.
Montforter Zwischentöne
Georg Friedrich Händel
Il Trionfo del Tempo e del Disinganno, Oratorium, HWV 46a
Sunhae Im, La Belezza
Marine Madelin, Il Piacere
Rupert Enticknap, Il Disinganno
Jan Kobow, Il Tempo
Ensemble Concerto Stella Matutina
Musikalische Leitung: Alfredo Bernardini (Oboe)
Ilka Seifert, Regie
Jörg Bittner, Licht
Folkert Uhde, Konzertdesign und Video19.11.2022 im Montforthaus Feldkirch