Ein kompromissloser Außenseiter: Georges Franju

10. September 2012 Walter Gasperi
Bildteil

Der 1912 in der Bretagne geborene Georges Franju gilt als großer Außenseiter des Kinos. Erst mit fast 50 drehte er zeitgleich mit den jungen Regisseuren der Nouvelle seinen ersten langen Spielfilm, doch nichts hat er mit dieser Bewegung gemein, knüpft vielmehr an den deutschen Expressionismus der 1920er Jahre an. Das Filmfestival von San Sebastian (21. - 29.9. 2012) widmet dem 1987 in Paris verstorbenen Regisseur eine der heurigen Retrospektiven.

Bevor Georges Franju zum Kino kam, arbeitete er unter anderem für eine Versicherungsfirma und in einer Nudelfabrik, absolvierte dann ein Studium als Ausstatter und war für Varietés wie das "Casino de Paris" und die "Folies Bergère" tätig.

1934 traf er Henri Langlois, mit dem er im gleichen Jahr auf 16 mm den Kurzfilm "Le Metro" drehte. Gemeinsam gründeten sie den Filmclub "Le Cercle du Cinema", auf dessen Basis sie 1935 die Cinématheque Francaise ins Leben riefen. In den folgenden Jahren arbeitete Franju als Sekretär der Fédération Internationale des Archives de Film (FIAF) (bis 1945) und wurde danach bis 1953 Sekretär des Institut de Cinématographique Scientifique.

1949 drehte er den ersten einer Serie von neun kurzen Dokumentarfilmen, die zu seinen schönsten Werken gezählt werden. Die berühmtesten davon sind "Le sang des bêtes" (1949) und "Hôtel des Invalides" (1951). In "Le sang des bêtes" parallelisiert Franju den Arbeitsverlauf in einem Schlachthof mit Ansichten von Paris und einigen erst kurz zuvor bekannt gewordenen Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs.

Durch die Gegenüberstellung der Bilder wird dieser 22-minütige Film zu einem beißenden Kommentar zum modernen Stadtleben und zur gegenwärtigen Situation des Menschen schlechthin. Bitterkeit kennzeichnet auch "Hôtel des Invalides", in dem Franju die militärischen Überbleibsel des Ersten Weltkriegs erforscht, wobei er erschreckende Bilder mit einem emotionslosen Kommentar unterlegt.

1958 entstand mit "La tête contre les murs" sein erster Langfilm. Indem Franju großteils in einer echten Nervenheilanstalt drehte, verlieh er dieser Geschichte um einen jungen Mann, der aus der Anstalt flüchtet, jedoch wieder gefasst wird, bevor er seine geistige Gesundheit beweisen kann, große Authentizität.

Atmosphärische Dichte gewann dieser Film ebenso wie der folgende, beklemmende "Les yeux sans visage" (1960) nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit dem Filmkomponisten Maurice Jarre, der schon für mehrere Kurzfilme Franjus die Musik geschrieben hatte, und dem Kameramann Eugen Schüfftan. Die Geschichte eines Chirurgen, der Mädchen entführt, um deren Gesicht auf seine bei einem Motorradunfall entstellte Tochter zu übertragen, inspirierte auch stark Pedro Almodóvar bei seinem "La piel que habito". Wurde der Film bei seiner Premiere von den Kritikern fast einhellig verrissen, so gilt er heute als ein Meisterwerk des Horrorfilms.

Franjus Vorliebe für den Stummfilm kommt nicht nur in der Zusammenarbeit mit Eugen Schüfftan, der schon bei Fritz Langs "Metropolis" die Kamera führte und ein Meister der Schwarzweißfotografie war, zum Ausdruck, sondern auch in der Neuverfilmung von Louis Feuillades 1916 gedrehter Abentuerserie "Judex" (1963).

Neben diesen subtilen Horrorfilmen, in denen die alltägliche Realität unvermittelt in Grauen umschlägt, spezialisierte sich Franju auch auf Literaturverfilmungen. Schon 1962 erzählte er in "Therèse Desqueyroux" eindringlich in klaustrophobischer Atmosphäre von einer Frau, die sich gegen ihre Umwelt auflehnt und ihren Mann zu vergiften versucht. In "Thomas l´Imposteur" (1965) widmet er sich nach einer Vorlage von Jean Cocteau wie schon in "Hôtel des Invalides" den Gräueln des Ersten Weltkriegs.

Nachdem Franju 1969 nach einem Drehbuch von Jacques Prévert Emile Zolas "La faute de l´Abbé Mouret" adaptiert und darin Grausamkeit und religiose Intoleranz des französischen Provinzmilieus attackiert hatte, kehrte er 1974 mit "Nuits rouges", der sich wie "Judex" an die Stummfilmserien von Louis Feuillade anlehnte, zum fantastischen Film zurück.

Da Franjus Filme kaum dem jeweiligen Publikumsgeschmack entsprachen, er nicht auf Moden aufsprang, sondern kompromisslos seinen Weg ging, gestaltete sich die Finanzierung seiner Projekte vielfach schwierig. So dauerte es 12 Jahre, bis "Thomas l´Imposteur", dessen Verfilmung er schon 1952 geplant hatte, realisiert werden konnte. Konnte er zwischen 1958 und 1965 sechs lange Spielfilme drehen, so entstanden in den folgenden 13 Jahren nur vier weitere Filme, teilweise fürs Fernsehen. 1977 drehte Franju mit "Le dernier mélodrame", in dem er auf die alte Tradition des Wandertheaters blickte, seinen letzten Film und starb zehn Jahre später am 5. November 1987 in Paris.

Quellen:
Buchers Enzyklopädie des Films
Gregor, Ulrich, Geschichte des Films. Bd. 3
Wikipedia (englisch): Georges Franju
Mörchen Roland: Poesie der Schlachthöfe – Instinktiver Visionär: Der Regisseur Georges Franju. In Filmdienst 8/2012

Georges Franju - Ausschnitte aus seinen Filmen