Ein anderer Blick auf Amerika: Arthur Penn

Nur kurz währte die Karriere des 1922 geborenen Arthur Penn, doch mit "Bonnie and Clyde" hat er 1967 den Aufbruch des New Hollywood entscheidend beeinflusst. Gleichzeitig finden sich in diesem Kultfilm mit der Auseinandersetzung mit der Gewalt sowie mit den zwei gesellschaftlichen Außenseitern zwei Konstanten, die sich durch Penns Werk ziehen. Das Filmpodium Zürich widmet diesem am 28. September 2010 verstorbenen großen Erneuerer des US-Kinos eine Retrospektive.

Ein Ballett des Todes ist das Finale von "Bonnie and Clyde", in dem das Outlaw-Pärchen in idyllischer Landschaft im Kugelhagel in Zeitlupe umkommt. Auf Dauer verändert hat diese Szene die Art der Gewaltdarstellung im Kino, gleichzeitig spiegelt sich in dieser Szene Penns pessimistische Weltsicht. Denn mag die Ballade des Gangsterpärchens auch in der Depressionszeit angesiedelt sein, unübersehbar spielte Penn damit auf die 60er Jahre an. Im freien, sich nicht an die Regeln der bürgerlichen Gesellschaft haltenden Leben von Bonnie Parker (Faye Dunawaye) und Clyde Barrow (Warren Beatty) spiegelt sich das Aufbegehren der Jugend der 60er Jahre gegen die verkrustete Gesellschaft dieser Zeit.

Immer wieder verpackte Arthur Penn in fiktive Geschichten die amerikanische Aktualität. Wenn in seinem Thriller "The Chase" (1966) der blutjunge Robert Redford direkt neben dem Sheriff erschossen wird, ist das eine Reminiszenz an die Ermordung Lee Harvey Oswalds nach dem Kennedy-Attentat, und das Massaker an den Indianern in dem Western "Little Big Man" (1970) spielt unübersehbar auf den Vietnam-Krieg, insbesondere auf das Massaker von My Lai an.

Wie "Bonnie and Clyde" erzählen aber auch diese beiden Filmen von Außenseitern. Speziell in "Little Big Man", in dem der von Dustin Hoffman gespielte Protagonist mehrfach zwischen der Welt der Weißen und der der Indianer wechselt, wird dieses Motiv auf die Spitze getrieben. Außerhalb der Gesellschaft stehen aber auch die Hippies in "Alice´s Restaurant" (1969), die Penn alternative Lebensformen ausprobieren, doch letztlich im Streit auseinander gehen lässt.

Zumindest teilweise erklären lässt sich dieser pessimistische Blick auf Amerika mit Penns Biographie. Die Eltern des 1922 als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer in Philadelphia geborenen Arthur ließen sich scheiden, als Sohn Arthur drei Jahre alt war. Mit seinem Bruder John, der später als Fotograf berühmt wurde, zog er mit seiner Mutter mehrfach um, wurde ein Heimat- und Orientierungsloser, der wie seine späteren Protagonisten zu Aggressionen neigte. Mit 14 kehrte er zum Vater zurück, um bei diesem das Uhrmacherhandwerk zu lernen, doch Harry Penn starb, als Arthur gerade 18 Jahre alt war.

Die Gewalt, die Penns Filme prägt, lernte er wenig später im Zweiten Weltkrieg kennen, in dem er in der Ardennenschlacht als Infanterist diente. Entscheidend geprägt hat ihn aber auch das anschließende Studium am Black Mountain College in North Carolina, an dem emigrierte Bauhaus-Künstler wie Josef Albers und Walter Gropius lehrten. Dies trug ebenso wie Studienaufenthalte in Perugia und Florenz zu seiner Europäisierung bei. Nicht amerikanische Regisseure, sondern Europäer wie Bergman und später die Nouvelle Vague zählte er zu seinen Vorbildern.

Wie Sidney Lumet, Martin Ritt, John Frankenheimer oder Norman Jewison führte Penns Weg nicht sofort zum Film, sondern zunächst zum neuen Medium Fernsehen. Hier konnten junge Regisseure und Autoren in den 50er Jahren experimentieren, wechselten aber, als die Vorgaben immer weniger Freiraum ließen, in die Filmbranche. Schon in seinem ersten Film vollzog er dabei einen Bruch mit der Tradition. Nicht auf Mythenbildung, sondern vielmehr auf Entmythologisierung zielt sein Western "The Left Handed Gun" ("Einer muss dran glauben", 1958) ab, in dem Paul Newman den Outlaw Billy the Kid spielte. Diesem ungeschminkten Umgang mit der amerikanischen Geschichte stand Warner Bros. aber skeptisch gegenüber und nahm den Film Penn nach Abschluss der Dreharbeiten aus der Hand.

Zum Erfolg wurde dann zwar "The Miracle Worker" ("Licht im Dunkeln", 1962, die Verfilmung des Schicksals der taubblinden Helen Keller - ein Stoff, den Penn 1959 schon für die Bühne aufbereitet hatte -, doch gleich darauf stellten sich wieder Rückschläge ein. Bei dem im Zweiten Weltkrieg spielenden "The Train" (1964) wurde er durch John Frankenheimer ersetzt und "Mickey One" (1965) geriet ihm aus lauter Begeisterung für die Nouvelle Vague zum kopflastigen Kunstkino.

Während auch "The Chase" (1966) trotz Starbesetzung mit Brando, Redford und Jane Fonda aufgrund der unkonventionellen Bildsprache an der Kinokasse flopte, gelang ihm mit "Bonnie and Clyde" ein Kassenschlager, bei dem die Kostüme der Gangsterpärchens auch die Mode beeinflussten. Vieles war nun im New Hollywood möglich, "Alice´s Restaurant" und "Little Big Man" folgten, mit "Night Moves" (1975) gelang ihm noch eine düstere Film noir Variation, die aber beim Publikum ebenso wenig ankam wie der Western "Missouri Breaks" (1976).

Die formalen Experimente und die eigenwillige Erzählweise Penns kamen in den neuen Zeiten des Blockbuster-Kinos nicht mehr an, mit "Four Friends" (1981) drehte er noch ein vielschichtiges – allerdings wenig erfolgreiches - Porträt der amerikanischen Gesellschaft der frühen 60er Jahre sowie die Genrefilme "Target" (1985) und "Dead of Winter" (1987), ehe er sich auf die Produktion von Fernsehserien wie "Law and Order" verlegte und schließlich 28. September 2010, am Tag nach seinem 88. Geburtstag, an Herzversagen starb.