Draughty House

Agnieszka Kalinowska (geb. 1971) zählt zu den vielseitigsten und erfolgreichsten KünstlerInnen der jüngeren Generation in Polen. In der MUMOK Factory zeigt sie drei Videos und eine Skulptur, wobei sie eigens für die Ausstellung eine neue Videoinstallation produziert, die sich mit der Asyl-Problematik befasst.

Kalinowskas Arbeiten thematisieren im Wesentlichen das menschliche Verhalten in Extremsituationen: "Wäre unser Leben ein Actionfilm, würde ich nur jene Momente fokussieren, in denen wir unsere Stärke zeigen (...) und schier übermenschliche Fähigkeiten dafür einsetzen, Probleme zu lösen. Die Künstlerin verdichtet in ihren Videos, Skulpturen und Malereien individuelle Verhaltensweisen und Orte zu symbolischen Bildern, die auf zeitgeschichtliche und soziokulturelle Entwicklungen anspielen. Die Ausstellung zeigt das vielschichtige Spektrum an Beobachtungsfeldern und das Zusammenspiel der unterschiedlichen Medien in Kalinowskas Werk.

In ihrer neuesten, in Wien produzierten Videoarbeit "Draughty House" (2009) – zugleich Titel der Ausstellung – treten AsylwerberInnen auf, die aus unterschiedlichsten Gründen nach Österreich geflüchtet sind. Sie erzählen von ihrer Vergangenheit und Geschichte sowie von ihren Erwartungen und Träumen für die Zukunft. Während sie sprechen, trennt sie eine zaunförmige Skulptur ("The Fence", 2009) von den BetrachterInnen. Als abschirmendes Gitter, das zugleich wie eine Art lebender Zaun organisches Wachstum suggeriert, verweist die Skulptur auf das Spannungsfeld von Isolation und Hoffnung, in dem sich die Protagonisten befinden. Objekt und Video bilden in der Ausstellung ein inhaltlich und visuell eng verwobenes Beziehungsgeflecht verschiedener Werkformen.

Die beiden Videoinstallationen "Doormen" (2006/2007) und "Emergency Exit" (2003) haben ebenfalls Kommunikations-Barrieren und gesellschaftliche Trennlinien zum Inhalt. Zugleich können sie als Potentiale für die Beobachtung sozialer Verhaltensweisen genutzt werden.

Für "Doormen" hat Kalinowska sechs Türsteher verschiedener New Yorker Nobelhotels einzeln interviewt und die Aufnahmen zu einer Gesamtprojektion montiert. Für die ZuseherInnen entsteht der Eindruck eines gemeinsamen Gesprächs, das die faszinierenden Beobachtungen, Gefühle und Erlebnisse einer sonst "unsichtbaren" Berufsgruppe schildert. Die Beteiligten berichten sowohl über ihr berufliches Umfeld, als auch über ihre Einschätzung der Tagespolitik oder ihr Privatleben. Als Repräsentanten einer sozial benachteiligten Schicht – die sich selbst und die gut situierten Hotelgäste aus ihrer Beobachterposition beschreiben – treten die Türsteher aus ihrer weithin unbedeutenden Rolle heraus und ihre vermeintliche Konversation wird zum Spiegel gesellschaftlicher Verflechtungen. Ihr Außenseitertum schafft die notwendige Distanz, von der aus ihr eigenes Leben und das der anderen wie in einem Wechselspiel schärfer ins Blickfeld der BetrachterInnen gerät.

Ein besonderes Kennzeichen von Agnieszka Kalinowskas Videoinstallationen ist ihre Ausrichtung auf die Position des Zusehers. In "Emergency Exit" filmt sie nicht nur Menschen, die entlang eines Häusergesimses in schwindelnder Höhe flüchten, sondern sie projiziert diese Szenen auch im Ausstellungsraum in luftiger Höhe. So wird die bedrohliche Empfindung einer Absturzgefahr beim Betrachter noch weiter verstärkt. Indem das Video überdies den Straßenlärm und die Unterhaltung unbeteiligter ignoranter Passanten vermittelt, findet man sich selbst plötzlich als deren Alter Ego wieder: Man wird zu einem Teil des Szenarios und sieht sich zwischen der Wahrnehmung extremer Bedrohung und deren Verdrängung hin- und hergerissen.


Agnieszka Kalinowska - Draughty House
17. April bis 14. Juni 2009