Dino Risi und die Commedia all'italiana

Von den späten 50er Jahren bis tief hinein in die 70er war die Commedia all’italiana weltweit ein Synonym für die virtuoseste und beißendste Form sozialkritischer Unterhaltung – ein besseres populäres Kino war nicht denkbar. Es errang nicht nur große Erfolge beim Publikum, sondern auch zahlreiche Regie-, Drehbuch- und Darstellerpreise bei den großen Festivals – und bei den Oscars.

Als Stammvater dieser zutiefst realistischen und bitteren Kinokomik gilt Mario Monicelli, ihr wohl bekanntester Vertreter wurde der Neorealist Pietro Germi mit Welterfolgen wie Scheidung auf italienisch. Ihr wahrer Meister aber war Dino Risi, ein modernes, sardonisches Genie des abgründigen Lachens. Risis Lehrjahre als Psychiater und Dokumentarfilmer prägen auch sein späteres Werk: Wie kein zweiter verstand er es, der Gegenwart einen klärenden Zerrspiegel vorzuhalten und den Italienern ihre Eitelkeiten vorzuführen.

Ab 8. Jänner präsentiert das Österreichische Filmmuseum eine umfassende Schau über diese Gattung, die im deutschsprachigen Raum kaum mehr geläufig ist. Mit mehr als 30 Werken – darunter zwölf von Dino Risi – ist die Retrospektive auch eine Fortsetzung und Vertiefung des letztjährigen Großprojekts zum italienischen Kino der 60er Jahre, dessen Reichtum sich der Koexistenz von "Kunstfilmern" (Antonioni, Fellini, Visconti, Pasolini), Genre-Meistern (Leone, Bava) und herausragenden Komödienregisseuren und -schreibern verdankt. Letztere, allen voran das Autorengespann Age & Scarpelli, hatten ihr Handwerk bei satirischen Zeitschriften und in der Arbeit mit Komikern wie Totò erlernt, sie transformierten aber auch die Lektionen des Neorealismus: "In den 50er Jahren war es verboten, über soziale Probleme zu scherzen. Uns bereitete das jedoch Vergnügen. Wir genossen es, ein Kino zu machen, das unmittelbar mit den Leuten zu tun hatte, die wir kannten und denen wir begegneten, in Fabriken, auf Bahnhöfen oder im Bus." (Mario Monicelli)

Als Ur-Werk der Commedia all’italiana gilt Monicellis grandiose Gaunerkomödie I soliti ignoti von 1958, dem Jahr Null des italienischen Wirtschaftswunders, das fünf Jahre später sogar zu Filmtitel-Ehren kam: Il boom war Vittorio De Sicas süßsaure Moritat über die Aufsteiger und Neureichen dieser Ära. Dino Risi: "Der Boom hat die Perspektive verändert. Der Neorealismus war zu einem Manierismus geworden. Es genügte nun nicht mehr, die Realität zu filmen, man musste sie erklären." Erklären hieß: Illusionen vertreiben, Mythen entzaubern, Ideologien aufspießen. Z.B. den Kult um die Familie und die Kirche; die Verfilzung von Politik, Wirtschaft und Verbrechen (Alberto Lattuadas Mafioso); den Selbstbetrug rund um den Krieg (in Monicellis Bahnbrecher La grande guerra oder Luigi Comencinis Tutti a casa); das patriarchale System in Sizilien (Germis Divorzio all’italiana und Sedotta e abbandonata); die Verharmlosungen der faschistischen Vergangenheit (kräftig revidiert in Risis La marcia su Roma oder Luciano Salces Il federale) – und vor allem das weit verbreitete Sich-Arrangieren und Mitläufertum der italienischen Bourgeoisie, wie in Risis erbarmungs- und illusionslosem Una vita difficile.

Die kanonische Phase der Commedia all’italiana endete zeitgleich mit dem boom. Nach 1964 begann sie zu mutieren und brachte diverse faszinierende Ausläufer hervor: eine herbe Melancholie (wie in Ettore Scolas Meisterwerk C’eravamo tanto amati, 1974), einen düster existentialistischen Grundton (Lo scopone scientifico von Luigi Comencini, 1972), der sich schließlich dem puren sozialen Horror näherte (Monicellis Un borghese piccolo piccolo, 1977) – oder in die Gegenrichtung floh, in träumerisch-nostalgische Gefilde (Franco Brusatis Pane e cioccolata, 1974). Auch im New-Hollywood-Kino, z.B. bei Robert Altman, lassen sich späte Echos der klassischen commedia finden. In unterschiedlicher Weise basieren sie alle auf jenem Bestiarium einer Epoche, das Dino Risi 1963 mit I mostri (Die Monster) gestaltet hatte – gefolgt von Antonio Pietrangelis vergleichbarem, aber ins Tragische kippenden Sozio-Kaleidoskop Io la conoscevo bene (1965). Diese Filme legen den Kern der Commedia all’italiana frei: "Ein kleines Welttheater der Niedertracht, eine Galerie nuancenreicher Archetypen: der egoistische Nichtsnutz, der feige Kleinbürger, der faule Opportunist, der scheinheilige Katholik, der Schürzenjäger, der sich weigert, erwachsen zu werden.“ (Gerhard Midding)

Das Kino der Commedia all’italiana ist nur bedingt durch seine Regie-auteurs erklärbar. Nicht minder wichtig waren die Drehbuchautoren – und vor allem die großen Darsteller: Vittorio Gassman, Alberto Sordi, Nino Manfredi, Ugo Tognazzi, Marcello Mastroianni. Ihr Spiel bringt nicht nur das Typische bestimmter sozialer Masken und regionaler Besonderheiten zum Ausdruck, sie wandeln auch gerne auf einem doppelten Boden der Täuschung und Intrige. Ihre Bedeutung zeigt sich auch darin, dass sie vielfach zur Regie wechselten oder als federführende Produzenten fungierten – und damit auch als Ermöglicher heikler Projekte. Sordi war jener, der die Commedia am Vollständigsten verkörperte – er inspirierte fast alle Regisseure des Genres. Der ewige furbo Gassman war das unverzichtbare Zentrum in Risis Schaffen. Tognazzis anarchisch-asoziale Energie prägte Luciano Salces Werk und verbindet auch das Kino von Marco Ferreri mit der Commedia all’italiana. Mastroianni wiederum verlieh jedem Film, in dem er auftrat, eine gewisse Verlorenheit – eine pastellene Schwermut, die ebenso zur Commedia gehört wie die gedämpften Hoffnungstöne Mario Monicellis oder der opake Zorn, der durch das Kino von Dino Risi rast.

Das Programm wird begleitet durch mehrere Einführungen und Vorträge renommierter Filmhistoriker aus Italien und Deutschland, darunter Adriano Aprà, Gerhard Midding, Olaf Möller und Giovanni Spagnoletti.

Dino Risi und die Commedia all’italiana
8. Januar bis 8. Februar 2010