Die Welt als Gefängnis: Robert Bresson

25. März 2013 Walter Gasperi
Bildteil

Nur 13 Filme konnte Robert Bresson zwischen 1943 und 1983 drehen, doch hinterließ der am 18. Dezember 1999 verstorbene kompromisslose Franzose damit ein Werk von seltener inhaltlicher und formaler Geschlossenheit. Das österreichische Filmmuseum widmet dem bekennenden Katholiken, dessen stilistisch extrem reduzierten Filme immer wieder um Erlösung und Suche nach göttlicher Gnade kreisen, bis Anfang April eine Retrospektive, das Filmpodium Zürich zeigt Bressons filmisches Werk ab Mitte April.

Zwei Gymnasiasten bringen Falschgeld in Umlauf. Der Inhaber eines Fotogeschäft erkennt die Fälschung und dreht den Schein dem jungen Yvon an, der Heizöl geliefert hat. Weil das Falschgeld bei Yvon gefunden wird und da der Fotohändler falsch aussagt, landet der junge Mann vor Gericht.

Yvon wird zwar freigesprochen, verliert aber seinen Job. Um Frau und Kind ernähren zu können, beteiligt er sich als Fluchtwagenfahrer bei einem Bankraub. Der Überfall geht schief, Yvon wird verhaftet und zu drei Jahren Haft verurteilt. Sein Kind stirbt, die Frau verlässt ihn. Er unternimmt einen Selbstmordversuch und ermordet nach seiner Entlassung wegen geringen Geldsummen mehrere Menschen.

Für seinen letzten Film "L´argent" (1982/83) hat Robert Bresson Leo Tolstois Novelle "Der gefälschte Coupon" ins Paris der Gegenwart verlegt. Lakonisch und mit unerbittlicher Konsequenz erzählt der Franzose, aufs Wesentliche reduziert sind die Szenen. Weder wird psychologisiert noch wird etwas erklärt – Bresson beschränkt sich auf die Schilderung äußerer Handlungen. Gleichzeitig fragmentiert er diese konsequent. Totalen kennt das Kino des Robert Bresson kaum, wiederkehrendes Motiv sind dafür Einstellungen von Händen, die Geld weitergeben, oder sich schließende Türen.

"Die Schönheit eines Films liegt nicht in der Schönheit seiner Bilder, sondern im Unsagbaren, das sie auslösen werden" heißt es in Bressons legendären "Noten zum Kinematographen". Kein dekoratives Bild gibt es in "L´argent". Die Farben sind fahl, die Wucht entwickelt der Film durch die Organisation der Bilder, die Montage – und die Töne.

Vieles passiert im Off, wird nur über die Tonspur vermittelt, auf Musik wird weitgehend verzichtet, nur kurz wird einmal on screen ein Stück von Johann Sebastian Bach auf dem Klavier angespielt. "Der Kinematograph ist eine Schrift mit Bildern in Bewegung und mit Töne" steht dazu in den "Noten". Nie sprach Bresson in Bezug auf seine Filme von "Kino", sondern immer vom "Kinematographen".

Statt Szenen auszubauen, reduziert Bresson sie, zeigt beim Selbstmordversuch nur, wie Yvon Tabletten sammelt und in der nächsten Einstellung vom Krankenwagen abgeholt wird, macht Barrieren zwischen Menschen sichtbar, wenn sich am Beginn der Vater des Gymnasiasten hinter seinem Schreibtisch förmlich verschanzt, wenn Gericht und Angeklagter durch den Schnitt konsequent getrennt werden.

Bei der Verfolgungsjagd nach dem Bankraub zeigt Bresson nur, wie Yvon aufs Gaspedal steigt und im Rückspiegel die Polizeiwagen, beim Mord an einer Familie hört man nur den Hund bellen, Yvon durchs Haus streifen, dann surrt eine Axt durch die Luft, eine Stehlampe kippt und im Lichtkegel spritzt Blut auf die Tapete. In dieser Reduktion gewinnen die Filme Bressons ihre Durchschlagskraft, erschüttern trotz oder gerade wegen ihrer Lakonie.

Während Schauspieler sonst angehalten werden Emotionen auszudrücken, forderte Bresson von seinen Laien immer emotionsloses mechanisches Sprechen. Nicht scheinen sollten sie, sondern sein und er sprach auch nicht von Schauspielern, sondern von Modellen: "Deine Modelle sollen sich nicht dramatisch fühlen."

Gott scheint nicht nur in diesem letzten und pessimistischsten Film des bekennenden Katholiken Bresson abwesend oder bleibt zumindest verborgen. An einem Gott, der sich nicht zeigt, verzweifeln, kann auch schon der einsame Protagonist in der Georges Bernanos-Verfilmung "Journal d´un curé de campagne" (1951). Erlösung scheint er erst im Tod zu finden, wenn zum Bild eines Kreuzes aus dem Off eine Stimme erklärt "Alles ist Gnade".

Erstmals zeigt sich in "Journal" der Stil des am 25. September 1901 in der Auvergne geboren Bresson in voller Ausprägung. Zunächst wollte er Maler werden – und sah sich auch später noch selbst als Maler -, kam aber schon in den 1930er Jahren als Autor zum Film. Als Regisseur debütierte er 1934 mit der Kurzfilm-Komödie "Les Affaires publiques", die bis in die 1990er Jahre als verschollen galt. Schon sein erster langer Film "L´ange du péché" (1943) führt mit einer Klostergeschichte das Motiv des Eingeschlossenseins ein, das sich immer wieder in den Filmen Bressons findet.

Nach der Diderot-Adaption "Les Dames du Bois de Bologne" (1944/45) folgte sechs Jahre später – Bressons Kompromisslosigkeit und seine Verweigerung der geringsten Konzession an den Publikumsgeschmack erschwerten die Finanzierung seiner Projekte immer wieder – mit "Journal" sein erstes Meisterwerk. Wie in "L´argent" gibt es auch hier immer wieder Detailaufnahmen von Händen, in "Un à mort condamné s´est echappé" wird man immer wieder die ein Seil flechtenden Hände des Häftlings sehen und in "Pickpocket" wird er mit den Aktionen der Taschendiebe ein regelrechtes Ballett der Hände entwickeln. Aber auch die Erlösung durch Gnade findet sich hier wieder.

In eine feindliche Welt geworfen sind die Protagonisten immer wieder. Kaum glückliche und entspannte Szenen gibt es im Werk Bressons, dafür zahlreiche Leidensgeschichten wie die des Esels in "Au hazard Balthazar" (1966) oder die der Jeanne d´Arc in "Proces de Jeanne d´Arc" (1962). Mehrfach suchen die Protagonisten Erlösung im Freitod ("Mouchette", 1967; "Une femme douce", 1969; "Le diable probablement", (1977).

Eine Geschichte vom Untergang einer Zeit und einer Welt ist auch der Ritterfilm "Lancelot du lac" (1974), in dem alle Ritter der Tafelrunde in ihren schweren Rüstungen in einem blutigen Gefecht erschlagen werden und nur ein Schrotthaufen zurückbleibt.

So konkret und klar Bresson Geschichten erzählt, so weisen seine Filme in ihrer Reduktion und ihrer formalen Geschlossenheit doch immer über das Gezeigte hinaus, werfen bohrend und vielschichtig Fragen nach Gott, Erlösung, Gnade und nach dem Lebenssinn in einer feindlichen Welt auf, lassen sich bei jedem neuen Sehen anders lesen und bewahren doch immer ein Geheimnis. - Einlassen muss man sich auf dieses radikale Werk freilich, dessen Schöpfer ein Einzelgänger war, nie einer Gruppe angehörte, selbst aber Filmemacher wie Andrej Tarkowski, Aki Kaurismäki, Jim Jarmusch, Michael Haneke, die Brüder Dardenne oder Paul Schrader, der nicht nur in der Schlussszene von "American Gigolo" Bressons "Pickpocket" zitiert, sondern auch in sein Drehbuch für "Taxi Driver" zahlreiche Motive aus "Journal d´un Curé de Campagne" einfließen ließ, stark beeinflusste.

Trailer zu "Pickpocket"