Die Verwirklichung eines amerikanischen (Alb-)Traums - "Nomadland" von Chloé Zhao

30. Mai 2021
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Die 60-jährige Fren (wie immer grandios: Oscar-Preisträgerin Frances McDormand) ist Witwe und wird nach dem Niedergang einer Bergbaustadt arbeitslos. Sie wird Arbeitsnomadin, in einer Szene bringt sie diesen Lebensstil prägnant selbstbewusst auf den Punkt: "I'm not homeless. I'm just houseless." Sie lebt fortan in einem ausgebauten Kleintransporter und jobbt nurmehr saisonweise: Im Verpackungsstress vor Weihnachten hilft sie für ein paar Wochen beim Versandriesen Amazon aus und zieht dann weiter, um andernorts etwa als Erntehelferin oder auf einem Campingplatz zu arbeiten.

"Nomadland " wurde 2020 bei den Filmfestspielen in Venedig mit dem goldenen Löwen für den besten Spielfilm ausgezeichnet und gewann 2021 zwei Golden Globes (Bester Film, Beste Regie) und drei Oscars (Bester Film, Beste Regie, Beste Hauptdarstellerin).

Nomaden der Arbeit

Bei ihrer Arbeit und auf der Straße trifft Fren auf andere Arbeitsnomaden, bleibt in dieser eingeschworenen Gemeinschaft von Aussteigern aber immer selbst eine Randgestalt. Fren scheint seit dem Tod ihres Mannes und des Jobverlusts nicht fähig, Nähe zuzulassen. Fren bleibt den ganzen Film hinweg eine Figur im brechtschen Sinne, analytisch wird nach und nach aufgeblättert, was als Trauma vorfiel.

Die Nebenfiguren sind großteils mit Laiendarstellern besetzt, die unter ihren echten Namen auftreten und offenbar auch in der Realität fern der Kinoleinwand ein Leben im Wohnmobil führen. So wirken deren Wohnmobile authehtisch-praktikabel eingerichtet, die Handgriffe bei allfälligen Reperaturen sitzen und auch die berührenden Anekedoten scheinen in der Wirklichkeit verwurzelt.

Die fiktive Fren geht mit ihnen temporäre Freundschaften ein, die aber aufgrund ihres abweisenden Charakters und der Mischung aus fiktiven und dokumentarischen Elementen nicht immer glaubhaft sind. Dabei tun die Figuren allesamt so, als wäre das Leben auf der Straße eine freie Entscheidung, ganz im Sinne des amerikanischen Pioniergeistes - nie lamentiert jemand über den Spätkapitalismus oder übt Systemkritik.

Amerikanischer Traum und Wirklichkeit

Dieses Vermischen von Realität und Fiktion verfolgt die Regisseurin Chloé Zhao schon in ihren früheren Werken, dabei spielt die amerikansiche Steppe immer auch eine wichtige Rolle. Bereits in ihren letzten Langspielfilmen, zuletzt "The Rider" aus dem Jahr 2017, spürt die chinesischstämmige Regisseurin, deren Filme aufgrund regierungskritischen Aussagen in China boykottiert werden, dem uramerikanischen Western-Genre nach.

Das Drehbuch für "Nomadland" basiert auf dem 2017 erschienenen Sachbuch Nomadland: Surviving America in the Twenty-First Century der Journalistin Jessica Bruder. Nach der Lektüre dieser Reportage sicherte sich Hauptdarstellerin Frances McDormand die Verfilmungsrechte und produzierte den Film auch selbst, auch die Sachbuchautorin Jessica Bruder scheint als Co-Produzentin im Abspann auf.

Laut dem BBC gibt es in den Vereinigten Staaten schätzungsweise drei Millionen Menschen, die ein nomadisches Leben führen. Dabei ist nicht bekannt, wie viele davon diesen "freien Lebensstil" auch selbst gewählt haben oder ein sesshaftes Wohn- und Arbeitsverhältnis eigentlich bevorzugen würden, wären sie wirtschaftlich nicht zum Nomadentum gezwungen.

Eine filmische Sonntagspredigt

Doch auch wenn die Inhaltsangabe von "Nomadland" auf ein Sozialdrama hindeutet, spart der Film viele negative Aspekte der Erzählung aus. Ganz selten bricht die Härte des Lebens "on the Road" durch, etwa wenn kurz darüber referiert wird, welche Eimer sich für die Notdurft eignen.

Doch der zutiefst deprimierenden Grundsituation wird mit einem naiv-neugierigen Kamerablick begegnet. Vielleicht, so lässt der Film glauben, ist es schon ein Erfolg, in dieser Lebenssituation durchzuhalten und nicht den Drogen oder gar dem Suizid nachzugeben.
Niemand scheint Opfer zu sein, zu sehen sind nur freiheitsliebende Amerikanerinnen. Der Verzicht auf einen klassischen Plot zugunsten der Roadmovie-Dramaturgie führt zur Beliebigkeit. Der Realität abgerungene Bilder sollen für sich sprechen, aber sagen oft wenig aus. "Nomadland" unterstreicht leider zu oft das neoliberale Mantra, dass jede Krise als Chance verstanden werden muss.

Das ist auch der elliptische Erzählweise geschuldet, die mehr als ein Jahr des Nomadentums auf unter zwei Stunden Filmlaufzeit zusammenkürzt. Monotone Fahrstrecken und mühselige Jobsuche werden einfach ausgespart.

Die Filmmusik komponierte Ludovico Einaudi und stammt von dessen Klavier-Zyklus und gleichzeitiger siebenteiliger Albumsammlung Seven Days Walking aus dem Jahr 2019. Leider wirkt die musikalische Untermalung oft wie ein emotionaler Wegweiser und lässt der Zuschauerin nicht immer die Möglichkeit, aus dem Gesehenen eigene Schlüsse zu ziehen.

Meist verliert sich der Film in romantisierenden Landschaftsbildern, das Breitbildformat und der langsame Schnittrythmus verschaffen dem Publikum auch wirklich ein dokumentarisch anmutendes Naturerlebnis, die grandiosen Landschaften erzeugen Reiselust und sind Balsam für die Lockdown-geplagte Seele.