Die unsichtbaren Hände

Der österreichische Künstler Thomas Feuerstein beschäftigt sich in seinem komplexen Werk mit sozialen Ordnungen und biologischen Strukturen sowie mit Verknüpfungen zwischen Kunst und Wissenschaft. Unter dem Titel "Invisible Hands" hat er für die Zürcher Galerie Nicola von Senger einen vielschichtigen Kosmos konzipiert, der diese Begriffe und ihre Bedeutung in natürlichen und kulturellen Phänomenen untersucht.

Zentrales Werk der Ausstellung ist die Installation "Manifest" (2009): eine überlebensgrosse Hand aus geschnitztem Holz reagiert wie von Zauberhand bewegt auf Fluktuationen der Börsenkurse grosser Rückversicherer wie Münchner Rück, Swiss Re oder des internationalen Versicherungsmarktes Lloyd"s of London, und zeichnet eine unendliche Linie auf die Galeriewand. Die "Performances" der Versicherungsgesellschaften werden von einem Computerserver in Gestalt eines Containerschiffes, "Daimonia“ (2009), in Echtzeit gesammelt und hauchen der Hand Leben ein. Der Name Lloyd"s rückt historische Tiefe in den Blick, denn diese Gesellschaft versicherte bereits Expeditionen in die Kolonien, und der Kapitalismus als übergeordnetes ökonomisches und soziales Ordnungssystem setzt somit einen ersten Fokus.

Feuerstein überträgt sein Interesse an Organisation und Verknüpfung in biologische Metaphern: In der Arbeit "Parlament" (2009) verschmelzen einzellige Amöben in einem Bioreaktor zu einer riesigen Zelle eines Schleimpilzes. Ob sich in diesem Sinnbild sozialen Zusammenlebens eine einzige staatsähnliche Meta-Zelle bildet oder verschiedene, sich konkurrenzierende Fraktionen, ist eine ungeklärte Frage, die sich im Laufe der Ausstellung lösen wird.

Die Fotoarbeiten "Species" (2008) zeigen Aufnahmen eines Mikroorganismus im Amazonas, der gallertartige Kolonien bildet. Diese haben mehr mit unserer sozialen Realität zu tun, als man auf den ersten Blick meinen mag, denn wieder ist das Verhältnis der Einzelteile zum Ganzen von Belang. Während Ordnungen verschiedener Grösse und Komplexität angesprochen werden, sind die Fragen immer ähnlich: Wie entsteht Struktur? Wie viel Spielraum bleibt einem Individuum in dieser Struktur? Und werden auch wir von unbewussten Prozessen, sprich unsichtbaren Händen geleitet?

Obwohl Feuersteins Kunst aus der sozialen, wirtschaftlichen, politischen, technologischen, historischen und biologischen Realität erwächst und sich in der Verknüpfung visueller und sprachlicher Elemente niederschlägt, zielt er nicht darauf ab, Strukturen akkurat abzubilden oder schlüssige Theorien über unser Leben zu entwerfen; was ihn interessiert sind Verflechtungen, Zwischenräume und Übertragungen. Feuersteins Arbeiten stehen wie kommunizierende Gefässe in Verbindung, welche uns vielleicht dazu bringen, die Bedingungen unserer Zeit mit neuen Möglichkeiten und uns selbst in andere Geschichten zu verstricken. Stefan Ege

Thomas Feuerstein: "Invisible Hands"
4. April bis 9. Mai 2009