Die unendliche Falte

Im Frühjahr 2007 wurde mit "Intervention" eine neue Ausstellungsreihe im Oberen Belvedere initiiert. Zweimal jährlich werden zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler eingeladen, ihre Arbeit in Bezug zum Haus und der Sammlung des Belvedere zu setzen. Ab dem 22. November präsentiert Brigitte Kowanz im barocken Marmorsaal des Oberen Belvedere drei neue, für die "Intervention" konzipierte Lichtobjekte.

Brigitte Kowanz, 1957 in Wien geboren, gehört international zu den bekanntesten Lichtkünstlerinnen ihrer Generation. Neben zahlreichen Einzelausstellungen im In- und Ausland wurden ihre Arbeiten bereits 1984 auf der Biennale in Venedig ausgestellt. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Wien und lehrt seit 1997 Transmediale Kunst an der Universität für angewandte Kunst.

Ihre Arbeiten kreisen um das Thema Licht in Verbindung mit Zeit, Raum und Information. Die Wahrnehmung unserer Umgebung wird von der Künstlerin in Sprache, Zahlenreihen, Morsezeichen und andere Codierungen transferiert und in Frage gestellt. Die übermittelten Botschaften, deren Dechiffrierung sich erst im Prozess des Betrachtens erschließt, verändern auf subtile Weise den Blick auf scheinbar alltägliche Dinge. Es entstehen neue Ordnungs- und Bezugssysteme.

Ausgehend von Gilles Deleuzes Falte als wesentlichstes Merkmal des Barocks, als Bruch mit dem Raum der Renaissance, als Entwicklung von der Kunst der Struktur zur Kunst der Textur, entstanden für die Ausstellung im Belvedere drei Lichtobjekte: "Ad Infinitum", "Die unendliche Falte" und "Ins Unendliche". Der barocke Raum und die drei ihn temporär besiedelnden Objekte stehen für die Dauer der Intervention in einem ständigen Dialog. Buchstäblich wie ein "roter Faden" verbindet das durchgehende Prinzip des Faltens und Entfaltens die Objekte gleichzeitig miteinander und mit der sie umgebenden Architektur.

Beim Kristall "Ad Infinitum" bildet die gleichlautende Neonschrift durch Spiegelungen und Reflexionen unendliche, virtuelle Räume und steht so in Beziehung zu den Spiegeln an den Seitenwänden des Marmorsaals. Die Gleichzeitigkeit von Verdichtung und Expansion, der Übergang und die Verflechtung von realem und virtuellem Raum werden erlebbar gemacht. Die Spiegelungen des barocken Raumes an der Oberfläche des Kristalls unterstreichen die Beziehung zum illusionistischen Material, der illusionistischen Architektur und dem Deckenfresko, das den Blick in einen imaginären Himmel freigibt, während das Innere des Kristalls den Raum in die Tiefe öffnet.

Eine ähnliche Formensprache wie die im Marmorsaal-Deckenfresko mit seinen farbig bewegten, ineinander verwobenen Linien findet sich auch in der Lichtskulptur "Die unendliche Falte". Die Falte: Der Barock erfindet das unendliche Werk oder die unendliche Operation. Das Problem ist nicht, wie eine Falte beenden, sondern wie sie fortsetzen, die Zimmerdecke durchqueren lassen, sie ins Unendliche tragen. Länge und Verlauf dieser "Lichtlisenen" entsprechen einer vergrößerten Version des der Arbeit zugrunde liegenden Zitats Die ins Unendliche gehende Falte ist das Charakteristikum des Barock – allerdings wurde das Zitat sprachlich verändert und die ins Unendliche gehende Falte durch die unendliche Falte ersetzt. Dem Text wurde eine Codierung eingeschrieben: bei jedem L faltet sich der Text nach links, bei jedem R nach rechts, dieser Prozess wird wiederholt und gespiegelt, die Schrift wird wieder zur Linie. Dabei entstehen mehrere ineinander verflochtene Endlosschleifen, die einen mehrdimensionalen Raum bilden - eine endlose Falte.

Das schwebende Lichtobjekt schließt thematisch an "Die unendliche Falte" an. Hier wird das Originalzitat verwendet, was sowohl inhaltliche als auch formale Folgen hat. Morsecodes treten nun an die Stelle der Buchstaben – ein binäres System aus Licht und Finsternis löst die Linie in Intervalle auf. Dieses Objekt wird anstelle eines der vier Kristallluster im Marmorsaal positioniert, und bildet gleichzeitig eine inhaltliche Klammer zum Spiegelobjekt in Form eines Kristalls.


Intervention - Brigitte Kowanz
Oberes Belvedere, Marmorsaal
22. November 2007 bis 30. März 2008