Die neuen Fahnen

1. Juli 2019 Kurt Bracharz
Bildteil

Der „Standard“ brachte online unlängst ein Quiz, bei dem man die Fahnen der Lgbtiq-Bewegung erkennen sollte. Wer weder gewusst hatte, dass es solche Fahnen gibt, noch wozu sie gut sein sollen, tat sich beim Raten schwer, denn alle bestehen nur aus Farbstreifen ohne ein signifikantes Symbol (wie auch immer ein solches aussehen könnte, den Designern würde schon etwas einfallen). Im Text zum Quiz hieß es: „Die Regenbogenfahne, die für den Lgbtiq-Stolz steht, lässt manche Gruppierungen an Sichtbarkeit missen. Für jene haben sich in den letzten Jahren unterschiedlichste Flaggen entwickelt: für Transgender-, Non-Binary-Personen, für genderqueere sowie genderfluide Menschen ebenso wie für Asexuelle, Polysexuelle, Pansexuelle, Demisexuelle und und und.“ (Ich sehe gerade, dass mein Rechtschreibprogamm Wörter wie „Non-Binary-Personen“ oder „genderfluid“ nicht kennt – also wenn ich eine Non-Binary-Person wäre, würde ich mich diskriminiert fühlen.)

Lgbtiq ist englisch (lesbian, gay, bisexual, trans, inter, queer) und hatte in seinen Anfängen in den 1980er Jahren nur drei Buchstaben: LBG. Diese Abkürzung sollte das als nicht neutral empfundene, weil aus dem medizinischen Bereich kommende Wort „homosexuell“ ersetzen. Später kam das biologisch bestimmte „Transgender“ dazu, zuletzt die ein weites Spektrum umfassenden Begriffe „Inter(sexualität)“ und „Queer“. „Queer“ bedeutet laut „Standard“: „Queer, schräg, anders, das Gegenteil von ,straight’. Manche Lgbt-Menschen bezeichnen sich als queer, wenn sie sich nicht eindeutig in eine sexuelle Orientierung oder in eine geschlechtliche Identität einordnen können oder wollen.“ Als W.S. Burroughs in den Jahren 1951 bis 1953 an einem Buch über seine Homosexualität arbeitete, nannte er es „Queer“ und spielte damit wohl eher auf seine Lebensumstände an (er hatte gerade bei einem Wilhelm-Tell-Spiel seine Frau erschossen, war polytoxikoman und reiste nach Südamerika, weil es damals hieß, die Dschungeldroge Ayahuasca verleihe telepathische Fähigkeiten) als auf seine nach heutigen Maßstäben eher straighte Homosexualität.

„Queer“ bedeutet heute also nichts Konkretes, „schräg“ ist eine nicht unbedingt sexuelle Bezeichnung, die viele gerne als Kompliment, nicht langweilig zu sein, auf sich angewendet hören würden.

Was veranlasst Menschen, ihre Identität in einer solchen zwanghaft anmutenden Selbstetikettierung zu suchen, die ja vor allem eine Einschränkung bedeutet? Wozu sich festlegen und symbolisch oder tatsächlich hinter einer der Lgbtiq-Fahnen hermarschieren? Ja, ich weiß, -tanzen, nur schwule Männerbündler marschieren noch.

Der Islam-Wissenschaftler Thomas Bauer schreibt in „Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt“, Ditzingen 2018: „Diese Kästchenbildung begann gegen Ende des 19. Jahrhunderts damit, die Menschen in Homosexuelle und Heterosexuelle einzuteilen und Sexulität als Teil der Identität eines jeden Menschen anzusehen. Vorher hatte man sexuelle Handlungen vollzogen (und moralisch bewertet und häufig verdammt), aber Menschen, die bestimmte Handlungen vollzogen, wurde nicht eine bestimmte Identität zugewiesen, durch die sie sich von allen anderen Menschen unterscheiden. Vorher hatten Menschen Sex, aber keine Sexualität. Jetzt wurden sexuelle Handlungen als Symptom einer sexuellen Identität angesehen. Eine solche Sexualität hatte jeder, und dies immer, weil sie ja Teil der Identität war. Man hatte jetzt eine Sexualität, auch wenn man gar keinen Sex hatte. Menschen mussten sich von nun an selbst in die Kästchen „Homosexualität“ oder „Heterosexualität“ einordnen, mussten also, wenn sie sich gleichgeschlechtlich verliebten oder gar gleichgeschlechtlichen Sex haben wollten, eine Identität als Homosexueller akzeptieren, um ihr eigenes Tun zu erklären und vor sich selbst und anderen rechtfertigen zu können.“

Ob die Schaffung weiterer Kästchen, auch wenn es so geräumige sind wie „queer“, etwas bringt, bezweifelt Bauer und zitiert „Schwule Sichtbarkeit – schwule Identität“ von Zülfikar Çetin und Heinz-Jürgen Voß (2016): „Ohne klare Identifizierung wären für Menschen Räume offen, ihre Nähe und Intimität situationsgemäß und im gemeinsamen Miteinander zu entwickeln.“

Das ist angesichts des heute grassierenden Internet-Kollektivismus leider nur eine Utopie.