Die Hände der Kunst

Sie konnte als Zentrum der wichtigsten Kunstszene der Welt gelten: die kleine Kunstbuchhandlung Wittenborn & Schultz in Midtown Manhattan – später Upper East Side –, New York. Aufgrund der Lage mitten unter den Kunstgalerien ging hier die amerikanische und europäische Kunstszene ein und aus. 1937 gründeten George Wittenborn und sein Partner Heinz Schultz eine Versandbuchhandlung mit nichts weiter als einem gebrauchten Auto und den Büchern, die sie aus Europa mitgebracht hatten. 1941 wurde Wittenborn & Schultz dann in der East 57th Street in Manhattan ansässig und war damit eine von nur drei New Yorker Kunstbuchhandlungen, noch dazu die für Künstler und Galeristen am günstigsten gelegene.

George Wittenborn war von dem Anspruch getrieben, immer ein Exemplar von jedem Kunstbuch der Welt vorrätig zu haben, was sein Geschäft in ein gern durchstöbertes Buchlager verwandelte. Außerdem war er von einem hohen Bildungsideal und einem starken Sendungsbewusstsein geprägt und betrieb einen eigenen Verlag für Kunstbücher, in dem er kleine Auflagen herausgab. Nicht unbedingt der kommerzielle Erfolg stand dabei im Vordergrund, sondern die Ästhetik und künstlerische Qualität. So gab es unter anderem eine Buchausgabe, die in einem Schuber aus Sandpapier ausgeliefert wurde.

Wie sehr sein Verständnis von aktueller Kunst ausgeprägt war, zeigt sich daran, dass er in einem Teil seines Geschäftes Ausstellungen mit "very new art" präsentierte. So war in seiner "One-Wall-Gallery" beispielsweise 1962 die erste Einzelausstellung von Hans Haacke zu sehen. All diese Besonderheiten machten Wittenborns Buchhandlung zum Zentrum der New Yorker Kunstszene und damit zum Zentrum der wichtigsten Kunstmetropole der Welt. Als sich am Abend des 16. März 1944 der mexikanische Künstler Miguel Covarrubias nicht nur mit seinem Namen, sondern auch noch mit einem Umriss seiner Hand in das Gästebuch eintrug, begann eine Sammlungsgeschichte, die ihresgleichen sucht.

Nach dem Tod George Wittenborns im Jahr 1974 ging das Buch in die Sammlung von Daniel Filipacchi über und kam von dort in den Besitz des Belgischen Galeristen Ronny Van de Velde, der es ebenso wie Wittenborn als Gästebuch weiter nutzte. Auf diese Weise entstand ein umfangreiches, einzigartiges "Who is who" der Kunstwelt, das sich von den dreißiger Jahren bis in unsere Gegenwart erstreckt und mittlerweile knapp dreihundert "Hände" umfasst. In dem Buch ist vom einfachen Handumriss über die Collage bis hin zu komplexen Kunstdrucken und Malereien alles Denkbare zum Thema Hände zu finden. Hier begegnen uns Hände, die aufgelegt werden oder untersuchen. Hände, die verlangen, fragen oder verneinen. Hände, die Freude oder Trauer ausdrücken, Zögern, Drohungen oder Angst. Hände, die werten und messen, die sich aufregen oder etwas verbieten. Oder Hände, die Zustimmung ausdrücken, sich wundern oder schämen.

So sind hier nicht nur individuelle Zeugnisse von zahlreichen Berühmtheiten der Kunstszene zu sehen, sondern in unterschiedlichsten Techniken ist eine Bandbreite an Ausdruck entstanden, die ähnlich der Gebärdensprache ein ganz eigenes Kunstvokabular umfasst.


Zur Sammlung liegt ein Katalog von 624 Seiten Umfang und mit 500 Abbildungen vor, der zum Preis von 85.- Euro an der Museumskasse erhältlich ist.

Die Hände der Kunst
27. März bis 27. Juli 2008