Die Geburt der Moderne

Der aus der Nähe von Königsberg in Ostpreußen stammende, lange Jahre in München und Berlin lebende Lovis Corinth (1858–1925) zählt zu den bedeutendsten deutschen Künstlern an der Wende zum 20. Jahrhundert. Er gilt heute als eine zentrale Figur der modernen Malerei. Eine Retrospektive zu seinem 150. Geburtstag ermöglicht mit nahezu 100 Gemälden aus allen Schaffensphasen, darunter zahlreiche Leihgaben aus nationalen und internationalen, öffentlichen und privaten Sammlungen, einen in dieser Qualität auf lange Zeit nicht wiederholbaren Überblick auf Corinths explosives Werk.

In Leipzig war der Künstler zwischen 1897 und 1913 in den sogenannten "Permanenten Ausstellungen" wiederholt mit Einzelwerken vertreten, die "Kreuzabnahme" (1906) kam als erstes Werk 1910 in die Sammlung. 1927 zeigte das Leipziger Museum dann eine Corinth-Gedächtnis-Ausstellung, die nach zeitgenössischem Urteil "zum ersten Male in Leipzig einen Ueberblick über das Arbeiten von der frühen Zeit bis zu seinem Tode vermittelte". Die diesjährige Jubiläumsausstellung wird anlässlich des 150. Jahrestags der Gründung des Museums der bildenden Künste gezeigt und ist das zentrale Ausstellungsprojekt im Jubiläumsjahr 2008.

Die Retrospektive gibt, mit kleinen Akzentverschiebungen an den drei Stationen, anhand einer konzentrierten, qualitativ hochkarätigen Auswahl einen überzeugenden Eindruck vom künstlerischen Werdegang Corinths: Ausgangspunkt ist sein thematisch differenziertes Frühwerk, in dem sich vielfältige Anregungen des französischen, holländischen und deutschen Realismus (Leibl, Courbet, Israëls, Liebermann) mit denen der holländischen Kunst des 17. Jahrhunderts und des Symbolismus um 1900 mischen.

In seinen mythologischen und biblischen Darstellungen, Bildnissen, Landschaften oder Stillleben entwickelte Corinth sich zum malerisch vitalen Impressionisten und führenden Vertreter der Berliner Secession. Im expressiven Spätwerk triumphiert die Ausdruckskraft der Farbe und des Malduktus’ über die gegenständliche Formensprache. Ein wichtiger Akzent liegt auf den Selbstporträts und den Bildern vom Walchensee. Die Ausstellung gliedert sich in die fünf klassischen Themenfelder: Selbstporträt, Mythos und Bibel, Akt und Alltag, Porträt, Landschaft und Stillleben und macht die stilistische Entwicklung Corinths anschaulich. Dabei stehen Werke im Zentrum, in denen Corinth das Zeitkolorit des beginnenden 20. Jahrhunderts überwunden und sich als zukunftsweisend gezeigt hat.

Die Jubiläumsausstellung setzt erstmals Corinth mit Vertretern der Moderne in Dialog. Corinth wird als Solitär zwischen Tradition und Avantgarde begreifbar, der schon zu Lebzeiten zu einem "Künstler für Künstler" wurde. In Leipzig wird dieser Dialog in der zentralen Halle des 3. Obergeschosses durch Werke geführt, die von nachgeborenen Künstlern aus Ost- und Westdeutschland stammen: So haben beispielsweise Georg Baselitz, Rainer Fetting oder Anselm Kiefer bewusst oder unbewusst an Corinths Schaffen angeknüpft. Innerhalb der DDR-Kunst fungierte Corinth für Hartwig Ebersbach, Sighard Gille, Bernhard Heisig und Willi Sitte als "Leitfigur und Pate". Zugleich wird die erstaunliche Affinität zwischen Corinths Gemälden der späten Jahre und der Renaissance deutscher und internationaler Malerei im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts deutlich.


Der Katalog zur Ausstellung, herausgegeben von Ulrike Lorenz, Marie-Amelie Prinzessin zu Salm-Salm und Hans-Werner Schmidt, erscheint im Kerber Verlag Bielefeld/Leipzig; mit über 300 Seiten, zahlreichen Farbabbildungen und Texten u. a. von Serge Lemoine, Ulrike Lorenz, Klaus Theweleit, Mario-Andreas von Lüttichau, Marie-Amelie Prinzessin zu Salm-Salm, Beat Wyss, Michael F. Zimmermann; für Eur 29.- an der Museumskasse erhältlich.

Lovis Corinth und die Geburt der Moderne
11. Juli bis 19. Oktober 2008