Die ausgestreckte Hand

Die zwanzig Filme des Amerikaners Robert Beavers stellen eine besondere Art der Einladung dar. Sie entführen in ein Reich der Wunder, das so – in dieser geheimnisvollen, elektrisierenden, immens verdichteten Form – nur im Medium Film zu haben ist, obwohl die jeweiligen Schauplätze und Referenzen zur älteren und ältesten Kulturgeschichte zählen: Florenz, Griechenland, Venedig, die Berliner U-Bahn, Stift Rein und der Salzburger Mirabellgarten, Zürich, die Skulpturen und Gemälde der Renaissance, die Schriften von Leonardo, Ruskin oder Rilke.

Die Orte künden davon, dass Beavers (geboren 1949 in Massachusetts) primär in Europa lebt – in steter Bewegung, seit 1967. Und der Gesamttitel, den er dem Zyklus seiner Werke gegeben hat, deutet an, welche Art von Sinnlichkeit die Filme bestimmt: "My Hand Outstretched to the Winged Distance and Sightless Measure". Das ist nicht das Überwältigende oder versteckt Religiöse des kommerziellen Effektkinos. Der Sinnesrausch, der Beavers-Filme auszeichnet, ist unmittelbarer, unentfremdet und ganz aus dem ureigenen Material des Gefilmten und des Filmens hervorgetrieben. Die ausgestreckte Hand. Der geflügelte Abstand oder Zwischenraum; Ferne; Wegstrecke; Zeitraum. Und das blinde Maß, das vor allem auf die Erinnerung ans Filmen rekurriert und bei der Montage nicht mehr des Bildfensters am Schneidetisch bedarf.

Bis zum Jahr 2000 arbeitete Beavers in relativer Isolation und führte seine Filme nur selten auf, darunter auch einige Male im Österreichischen Filmmuseum. Seither ist sein Werk – vor allem, was die Rezeption betrifft – deutlich präsenter geworden, wenngleich die Gelegenheiten, es zu sehen, unverändert rar und vor allem in der Kunstwelt zu finden sind (zuletzt etwa im New Yorker Whitney Museum, 2005, und in der Tate Modern in London, 2008). Das Ereignis, das solche Gesamtschauen darstellen, wird von allen, die daran teilgenommen haben, nicht als "Event" im Sinn der aktuellen Spektakelkultur beschrieben, sondern – siehe oben – als eine intensive Versenkung in die Schönheit und Intelligenz von Handarbeit. Jener physischen Arbeit, deren Resultate oder Ablauf Beavers an verschiedenen Orten filmt, sowie seiner eigenen Handarbeit, die erst in der Projektion zur Wirkung kommt. "Das Ziel ist", sagt Beavers, "dem projizierten Filmbild dieselbe Kraft zu geben, die jedes andere große Bildwerk besitzt: die Kraft zur Erweckung des Sehens."

Robert Beavers" Filme werden im Zuge dieser Veranstaltung zweimal gezeigt: zunächst in sechs "gemischten" Programmen (quer durch die Jahrzehnte seines Schaffens), danach in Form eines intensiven dreitägigen Parcours, mit den Werken in der Reihenfolge ihres Entstehens (Fr 26.11. bis So 28.11.). Das Filmmuseum publiziert zu diesem Anlass eine deutsch- und englischsprachige Broschüre über Robert Beavers. Der Filmemacher wird während der gesamten Schau anwesend sein.

Robert Beavers. Die ausgestreckte Hand
19. bis 28. November 2010