Mit einer Aktion des Prinzendorfer Schüttmeisters Hermann Nitsch und seinem Orgien Mysterien Theater, begleitet von einer kulinarischen Performance des Künstlers Paul Renner, ging im temporär auf dem Vorplatz des Kunsthauses Bregenz aufgestellten "Theatrum Anatomicum" am Freitag, den 13. Juli, das Finale des einwöchigen, von Renner initiierten gastrosophischen Spektakels, über die Bühne.
Beim Theatrum Anatomicum, das nun also bereits Vergangenheit ist, handelte es sich um eine 12 Meter hohe, aus gebogenen Hölzern und PVC-(Wurst)Häuten bestehende Zeltkonstruktion, die der Form eines Schädels nachempfunden wurde. Platziert wie die Studenten eines Theatro Anatomico, in dem die Renaissanceärzte ihre Sezierkünste vorführten, konnten die Besucher von Renners "Gastrophilosophicums" über drei Stockwerke hinweg verteilt, wie in einem Opernhaus den Kochperformances und Food-Sezierpraktiken experimenteller Küchenchefs folgen. Spezielle Rahmenprogramme, die bis zur Uraufführung eines Stückes des Komponisten Alexander Moosbrugger reichten, untermalten die ausgefallenen Speisen- und Getränkefolgen.
Beim Nitsch-Abend wurde, ganz auf die Farben des
Orgien Mysterien Theaters abgestimmt, serviert:
Weiss: | Kalte Mandel-Knoblauchsuppe | |
Grün: | Jakobsmuscheln mit Brennesselspinat im Schweinsnetz | |
Schwarz: | Sepia Cous Cous mit Sugo | |
Safrangelb: | Safranorangensorbet | |
Braun: | Lammragout Morcheln | |
Orange: | Pfifferlingsgulasch | |
Rot: | Erdbeeren mariniert mit Gegenbauer Essig PX |
Für die Küche verantwortlich zeichneten Markus Bergthaler, Bernhard Böhler, Elmar Brunner, Roberto Segantin, Gottlieb Walter, Andrea Kühbacher und Paul Renner. Dazu spielte das Quintetto Nitsch aus Sizilien sphärische Klänge.
Leute, die mehrere der insgesamt sechs Spektakel besuchten, die unter Leitsprüchen wie etwa "Gas Night", "Live Dissection" oder "Riten der Selbstauflösung" standen, meinten, dass der Nitsch-Abend vom Kulinarischen her gesehen zu den besten zählte. Am schlechtesten weg kam interessanterweise der erste Abend "Gas Night" (7. Juli), an dem der Spanier Carles Abellan für die Küche zuständig war. Und Abellan war immerhin im "El Bulli" über zehn Jahre lang die rechte Hand des Gastro-Gurus und heurigem Documenta-Teilnehmers Ferran Adrià.
Was die Nitsch-Aktion anbelangt, so verlief sie in bekannten Bahnen. Auf Tischen mit weissen Tischtüchern waren Fische, Trauben, Erdbeeren Gedärm, Hirnmasse und Blut in Gläsern und Reagenzröhren vorbereitet sowie Zitronen auf einem Priestergewand angeordnet. Seitlich hing ein geschlachtetes Schwein am Kreuz. Der Reihe nach wurden zwei Frauen mit verbundenen Augen entkleidet und auf kreuzförmige Bahren gelegt. Anschliessend wurden sie mit Blut übergossen, auf der Scham Gehirnmasse und Gedärm abgestellt, es folgten Übergiessungen mit Blut und anderen Flüssigkeiten.
Der schwarzgekleidete Meister dirigierte mit Trillerpfeife und Gesten den rituellen Verlauf, der sich in rhythmisches Kneten und Pressen der Zutaten auf den Leibern der Frauen, begleitet von immer eindringlicher werdenden Sphärenklängen, steigerte. Des blutigen Gematsches überdrüssig, verliessen viele Besucher die Aktion noch während sie in vollem Gange war. Nitsch gab auch etliche Kommentare ab. Häufig schwelgte er in Erinnerungen. Er erzählte, wie er früher Gedichte und Theaterstücke verfasst hatte, in Anbetracht der beiden desaströsen Weltkriege die Sprache aber an Überzeugungskraft verloren habe und er daher auf das Visuelle umgestiegen sei.
Unter den Gästen hatte es etliche eingefleischte Nitsch-Freaks. Sie alle konnten aber nicht kaschieren, dass sich das ganze Prozedere um dieses Mysterium längst selbst überholt hat. Vor allem wenn die Performance wie hier in Bregenz zu einem Event für gutbetuchte Bürger verkommt, wird sie mehr als fragwürdig. Kunstinsider waren sich denn auch einig, dass sich Nitsch noch vor wenigen Jahren nie für so ein Kommerzspekakel hergegeben hätte. Aber vielleicht war sein Mitwirken am Theatrum Anatomicum denn auch nichts anderes, als eine Referenz an seinen langjährigen Schüler und Assistenten am Orgien Mysterien Theater, Paul Renner.