Die Absurdität der technisierten Welt

11. Oktober 2007
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Das Werk kaum eines anderen Filmregisseurs seiner Größenordnung ist so schmal wie das des französischen Komikers Jacques Tati (1907-1982). Gerade einmal 5 1/2 Filme hat der Franzose, der am 9. Oktober 100 Jahre alt geworden wäre, in seinen 73 Lebensjahren gedreht.

Dass Tatis Werk so schmal ist, liegt einerseits an der Akribie, mit der er arbeitete, andererseits auch an der Schwierigkeit Geldgeber aufzutreiben. Doch obwohl er keiner Gruppe und keiner Bewegung zugeordnet werden kann, ist sein Einfluss in den Filmen des Georgiers Otar Iosseliani ebenso zu spüren wie in Takeshi Kitanos "Kikujiros Sommer" oder Elia Suleimans "Intervention Divine".

Laute Gags waren nicht Tatis Sache, er konzentrierte sich auf die ebenso genaue wie lakonische Beobachtung der modernen Welt. Komik entwickelt sich aus ganz alltäglichen Szenen: aus dem Urlaubsverhalten am Badestrand ("Les Vacances de Monsieur Hulot", 1953), aus Wohnsituationen und Haushaltsgeräten ("Mon Oncle", 1958), der modernen Großstadt ("Playtime – Tatis herrliche Zeiten", 1967), der Autogesellschaft ("Trafic", 1971). Aus der Reduktion gewannen seine Filme ihren Reichtum, statt mit hektischen Schnitten und Großaufnahmen erzählte er vor allem in distanzierten Totalen. Auf Dialoge verzichtete er fast völlig, doch brillantere Tonspuren - hier ist eben wirklich jeder Ton nötig - als bei Tati findet man im Kino kaum. Ein Monomane des Kinos - radikal und kompromisslos wie neben ihm nur Robert Bresson.

Schon in seinem ersten langen Spielfilm "Jour de Fete" ("Tatis Schützenfest", 1948) - davor drehte er nur den mittellangen "L´Ecole des Facteurs" (1947) - fand er sein zentrales Themen: die Absurdität der modernen Zivilisation.

Auf einem Jahrmarkt in einem kleinen französischen Dorf wird ein Film über die Leistungen der amerikanischen Post gezeigt. Der Briefträger Francois (Jacques Tati) ist beeindruckt von der im Film gezeigten Geschwindigkeit der US-Post und will mit seinem alten Fahrrad die Amerikaner bei der Postzustellung imitieren. Die Geschichte des Briefträgers ist eingebettet in die liebevolle Schilderung des ruhigen Dorflebens, das in starkem Kontrast zum von der Moderne geforderten Tempo, der "rapidité americaine", steht.

Auf die Schilderung des Dorflebens in "Jour de Fete" (1949), dessen ursprüngliche Farbversion erst drei Jahre nach Tatis Tod rekonstruiert werden konnte, folgte das Strandleben in "Les Vacances de Monsieur Hulot" (1953). Auch hier geht es Tati nicht um das Erzählen einer Geschichte, vielmehr fügt sich in diesem Meisterwerk eine Vielzahl von detailreichen Beobachtungen zu einem großen Kaleidoskop des Ferienmilieus. Wie schon in "Jour de Fete" und auch in seinen folgenden Werken führen dabei die Tücken technischer Errungenschaften zu einem Feuerwerk feinsinniger Gags.

Schon in "Les Vacances de Monsieur Hulot" sind die Menschen nicht fähig miteinander zu sprechen, sondern reden aneinander vorbei. Ein Sprachengewirr und eine Fülle von Geräuschen treten an die Stelle des Dialogs und fügen sich zu einer Klang-Collage. Deplatziert ist in dieser Welt der altmodische Monsieur Hulot, der - wie der Tramp Charlie die Filme Chaplins - Tatis folgende Werke prägen wird. Schon rein äußerlich stellt diese Figur mit Trenchcoat, Hut und Pfeife einen Anachronismus dar, ein Gentleman aus einer vergangenen Welt. Komik entsteht freilich dadurch, dass sich der scheinbare Nonkonformist Hulot unbedingt anpassen möchte, dass er überall behilflich sein und es allen recht machen möchte, durch seine Bemühungen aber doch nur Verwirrungen und Missverständnisse verursacht.

In "Mon Oncle" (1958) tritt der Handlungsaufbau noch mehr in den Hintergrund gegenüber der geradezu dokumentarischen Gegenüberstellung eines romantischen Pariser Stadtviertels und der modernen Wohn- und Arbeitswelt. Steril und kalt wirkt die blitzsaubere und vollautomatisierte Küche, wie ein Roboter bewegt sich die Sekretärin durch das Bürogebäude.

Zehn Jahre später ist in "Playtime – Tatis herrliche Zeiten" (1968) die alte Welt wie der Eiffelturm und die Kirche Sacré-Coeur nur noch in Spiegelungen einer geöffneten Glastür sichtbar. Unüberschaubar ist das Wolkenkratzerviertel, in dem Monsieur Hulot zufällig auf einen Trupp von amerikanischen Touristen und auf Geschäftsleute trifft. Entbehrlich sind in dieser Welt die Menschen, verdrängt werden sie von der Architektur mit ihren endlos langen Gängen und labyrinthartig angeordneten Büroräumen. Nicht mehr um Personen, sondern um Räume inszeniert Tati hier, arbeitet in übervollen Bildern mit Vorder-, Mittel- und Hintergrund und schafft somit eine Welt, die zumindest beim ersten Sehen nicht durch- oder überschaubar ist. Zur Kommunikation sind die Menschen hier endgültig nicht mehr fähig, die Rede versinkt im Durcheinander der Geräusche, die durch die technischen Errungenschaften erzeugt werden.

Nach diesem Abgesang auf die moderne Großstadt wendete sich der französische Komiker in seinem letzten Film dem Statussymbol Auto zu. In "Trafic" (1971) soll Monsieur Hulot, der wiederum nur eine von vielen handelnden Personen ist, einen Campingwagen von Paris zum Automobilsalon nach Amsterdam bringen. Statt auf Tempo setzt Hulot dabei auf Genuss, erlaubt sich mit seinem menschenfreundlichen mit Rasierapparat und Dusche ausgestatteten Wagen Abstecher an schöne Kanäle und idyllische Dörfer. – Der durch Technik deformierte Lebensraum und Lebensstil erscheint in diesem Kontext nicht als Alptraum und pessimistische Zukunftsvision, sondern als verkehrte Welt, die angesichts ihrer Vergänglichkeit gleichwohl mit Gelassenheit betrachtet werden kann.