Der vorbildliche, angepasste Amerikaner: Harold Lloyd

Neben Charlie Chaplin und Buster Keaton ist der 1893 geborene Harold Lloyd der dritte große amerikanische Komiker der Stummfilmzeit. In den 1920er Jahren übertraf er mit seiner Figur des konformistischen Kleinbürgers seine beiden Kollegen sogar an Erfolg, geriet aber etwas in Vergessenheit, als die Komödien sozialkritischer wurden. Das Österreichische Filmmuseum widmet dem 1971 verstorbenen Schauspieler ab 25. Dezember eine Retrospektive.

Das Bild vom Mann, der an einem Wolkenkratzer hoch über den Straßen von New York, an einer Uhr hängt, gehört zweifellos zu den berühmtesten der Filmgeschichte. Nicht nur in dem 1923 gedrehten "Safety Last!" (Fred C. Newmeyer/Sam Taylor) findet sich eine solche Szene, die als Musterbeispiel für das Witz und Spannung mixende Subgenre thrill comedy gilt, sondern in fünf weiteren Filmen kletterte Harold Lloyd auf Wolkenkratzern herum.

Im Gegensatz zu Chaplin und Keaton blieb er nur Schauspieler und führte als solcher zahlreiche Stunts selbst aus, übernahm aber nie die Regie, bestimmte aber dennoch Handlung und Gags seiner Filme entscheidend mit. Wollte er zunächst Chaplin imitieren, so hatte er erst Erfolg als er eine komplett konträre Figur erschuf.

Dem Immigranten und gesellschaftlichen Außenseiter Chaplins stellt er den überangepassten Amerikaner gegenüber. Er ist auch nicht der Pionier wie Keaton, der stoisch alles wagt, sondern der immer freundlich lächelnde junge Mann, der jederzeit gerne seine Hilfe anbietet, dabei aber oft in große Gefahr gerät, doch alle Schwierigkeiten mit durch nichts zu erschütternder Beharrlichkeit, deren Fundament ein beträchtliches Maß an Naivität ist, schließlich überwindet.

Mit seinen perfekt sitzenden Anzügen, Stohhut und Hornbille war er die perfekte Identifikationsfigur für den amerikanischen Durchschnittsbürger und machte in seinen Filmen seinem Publikum vor, wie man seine Träume verwirklichen kann. Nicht in einer von ihm selbst geschaffenen Welt – wie die Filme Chaplins und Keatons – spielen folglich seine Komödien, sondern im realen Amerika der 1920er Jahre.

Da mag die Kletterpartie am Wolkenkratzer noch so real sein, so ist dabei doch auch die symbolische Komponente als Metapher für den Aufstieg des kleinen Mannes in der Karriereleiter nicht zu übersehen. Und wie der Wolkenkratzer als Sinnbild für den Aufstieg der USA zur Großmacht zu lesen ist, so ist freilich auch die Uhr nicht nur eine Chiffre der industrialisierten Welt, sondern auch eine des durch Termine und Arbeitszeiten genau getakteten Lebens des Bürgers dieser Welt.

Lloyd zeigte seinem Publikum mit seinen Figuren, wie man Erfolg hat, wenn er in "The Freshman" ((Fred C. Newmeyer/Sam Taylor; 1924) trotz seiner schmächtigen Statur am College seinem Football-Team – DEM amerikanischen Sport, der wiederum für Männlichkeit und Durchsetzungsvermögen steht – schließlich den Erfolg sichert, obwohl ihn der Sport nicht interessiert, er ihn nur betreibt, um geachtet zu werden. Mit "Girl Shy" (Fred C. Newmeyer/Sam Taylor; 1924) stärkte er als schüchterner Schneider, der seine Hemmungen überwindet und so schließlich doch noch nach einer spektakulären Verfolgungsjagd das geliebte Mädchen erobert, das Selbstbewusstsein der Männer.

Die Stärke dieser Filme liegt dabei nicht nur im Einfallsreichtum, sondern ganz wesentlich auch im perfekten Timing, mit dem hier Witz und Spannung ineinander übergehen und sich gegenseitig steigern.

Der Erfolg seiner Figuren korrespondiert auch mit seinem eigenen Leben, arbeitete er sich doch vom Milchkannenfahrer und Kulissenschieber über Kurzfilme bei Mack Sennett und Hal Roach ab 1914 zu seinen eigenen großen Filmen der 1920er Jahre hinauf. Mit seinem Leben verwirklichte er den amerikanischen Traum, von dem seine Filmfiguren träumen, und konnte aufgrund seiner Filmerfolge das Leben eines Millionärs mit Prachtvillen und kostspieligen Hobbies.

Nicht verwundern kann freilich auch, dass diese Figur in den 1930er Jahren an Populärität verlor, wollte man doch nach der Weltwirtschaftskrise nicht mehr so ungebrochen an den amerikanischen Traum glauben, den auch Preston Sturges 1947 mit "Mad Wednesday" – dem letzten Film mit Harold Lloyd – als Illusion und den Aufstiegsglauben Harolds als Selbstbetrug enttarnte.

Kompilation von Szenen aus Harold-Lloyd-Filmen