An der Schnittstelle zwischen realer und virtueller Welt

31. März 2009
01.03.2009 bis  05.04.2009
Bildteil

Max Grüter hasst den Begriff "Retrospektive". Daher sollte man sich hüten, die Ausstellung in der Galerie Gluri Suter Huus in Wettingen als solche zu bezeichnen. Auch wenn sie anhand von signifikanten Werkbeispielen, die der Künstler selbst ausgewählt und zusammengestellt hat, einen konzentrierten Einblick in sein Schaffen der letzten 10 bis 15 Jahre gewährt.

Die Aversion gegen den Begriff "Retrospektive" resultiert wohl nicht zuletzt daher, dass bei Grüter ein Werkkomplex selten abgeschlossen scheint. Er greift immer wieder auf frühere Ideen und Arbeiten zurück, unterzieht sie neuen Betrachtungsweisen und führt neue Lösungen ein. Seine Werke reichen von der Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft, genauso wie sie vom Hier und Heute wieder zurückwirken. Solcherart bewegt sich seine Kunst abseits jeglichen statischen Zustandes. Sie ist sozusagen ständig in Bewegung und von pulsierender Dynamik geprägt.

Grüter ist in den klassischen Disziplinen wie Zeichnung, Malerei und Skulptur genauso beheimatet wie im prozessualen Arbeiten und der virtuellen 3-D-Animation. Was die Umsetzung seiner Anliegen anbelangt, so hat der Computer in seinem Fundus technischer Hilfsmittel in den letzten Jahren eine klare Dominanz angenommen. Der Computer hat sich seiner Auffassung nach einfach zum adäquatesten Werkzeug der Zeit entwickelt. Es gibt in der Schweiz nur wenige Kunstschaffende, die das Hilfsinstrument Computer mit einer derartigen Meisterschaft beherrschen, wie dies bei Max Grüter der Fall ist. Ja eigentlich sucht man in der helvetischen Szene vergeblich nach analogen Entsprechungen. Dabei läuft das gesamte Streben von Max Grüter dahin hinaus, dem Computer so etwas wie "Sinnlichkeit, Wahrhaftigkeit und grösstmögliche Realität abzugewinnen".

Den Ausgangspunkt der künstlerischen Tätigkeit Grüters bildeten in den 1980er Jahren figurative Acrylgemälde sowie Bronzeplastiken, die oft mit Holz-, Gummi- oder Betonelementen verschränkt wurden, und mit Epoxyharz überzogene Styroporskulpturen. Seit den 1990er Jahren arbeitet er verstärkt an grossen motivischen Werkzyklen, im Rahmen derer er immer wieder auch serielle Produktionstechniken auslotet. Einzelne Ideen, Motive, Elemente, Prototypen aus den verschiedenen Arbeitsphasen tauchen in späteren Werkgruppen wieder auf, werden antizipiert, neu belebt, und schlängeln sich wie wandlungsfähige Avatare durch das sukzessiv anwachsende Universum der Grüterschern Kunstreservoirs. Virtuelle Modelle seiner Astronauten hat er auch ins Netz gestellt. Sie können von jedermann als digitale Module heruntergeladen werden und – mit Verweis auf die Urheberschaft – kostenlos für eigene Projekte weiterverwendet werden. Analog zu den realen Astronauten, die sich durch das Weltall bewegen, bevölkern diese digitalen Modelle das weltweite Netz, um sich je nach Bedarf in der Folge auch auf lokalen Rechnern einzunisten.

Als einen zeitlichen Markstein liesse sich das Jahr 1997 heranziehen. In diesem Jahr beginnt Grüter, "Modellbaukästen" aus Kunststoff seriell zu fertigen. Dem Vorbild von Modellspielzeug-Kits mit Gebrauchsanleitung folgend, produziert er Bausätze für Meerschweinchen, Nahrungsmittel, Goldbarren oder ganze Familienstammbäume. Der Künstler erweist damit dem Modellbauertraum, sich im Kleinen eine heile Welt zu erschaffen, ironisch gebrochen Reverenz. Vergleichbar mit Andy Warhols "Do-it-yourself-Paintings" suggerieren die in Spritzgussrahmen eingefügten Bausätze im Spiel mit den ästhetischen Kategorien "vollendet – unvollendet" dem Kunstkonsument die Möglichkeit, schöpferisch tätig zu sein, die sich alsdann als uninspiriertes Zusammensetzen vorfabrizierter Einzelteile entpuppt. Fortan gewinnt die Seriellität im Werk Grüters eine ständig steigende Bedeutung.

Parallel zu den grossen Werkzyklen, die nun entstehen, gibt Grüter in der Folge reihenweise die Produktion von skulpturalen Multiples, digitalen Prints oder Computeranimationen auf DVD in Auftrag. Vor rund eineinhalb Jahren ist mit "Bunnymen" ein ironisch-kurioses Multiple aus Giessharz entstanden, in welchem zur Abwechslung einmal das männliche Geschlecht zu einer Art Playboy-Hasen manifestant wird. Den Auslagerungstrends der heimischen Wirtschaft folgend ist diese am Computer als 3D-Modell entworfene Plastik in einer Auflage von 300 Stück in China gegossen worden. Mit der sogenannten "The Bunnymen Collection" hat Grüter einen neuen Prototypen geschaffen, der von kommerziell und klischeehaft eingefärbten Erinnerungswelten genährt wird. Bekannte, festgefahrene Bildvorstellungen werden benutzt, um daraus eine Kunstfigur zu schaffen. Hinterhältig eingenistete Trivialitäten werden in ironisch-tiefsinnige Mutationen überführt. Der Begriff Bunny suggeriert vordergründig zuerst einmal den Hasen, wie sie die Inhalte von Herrenzeitschriften à la Playboy bestimmen, oder die Boxenstrassen der Formel 1 zieren. In der harmloseren Variante denkt man an die Trickfilmfigur Bugs Bunny. Auf alle Fälle geht es nicht nur rein um eine Gender-Angelegenheit, sondern Grüter setzt hier auch eine ironische Geste gegen die zeitgeistige Uniformität, Angepasstheit und monotone Gleichschaltung. Dies umso eindrücklicher, wenn der Künstler die Bunny-Skulpturen in grosser Stückzahl auffädelt.

Die Bunnymen Collection erscheint neben den Kunststoffabgüssen auch noch in anderen seriellen Variationen, etwa als virtuelle Figur am Bildschirm, als Print auf T-Shirts oder als gewöhnliche Druckgrafik. Ganz im Sinne einer Art Merchandising-Konzeptes.

Das Schlüsselwerk, in dem Leben und Werk des Künstlers ineinander laufen, ist wohl "My Private Space Program". Private Jugenderinnerungen und persönliche Entwicklungswege, Kreativität und handwerkliches-digitales Können verbinden sich in diesem "privaten Weltraumprogramm" zu einem nicht enden wollenden Versuchsfeld. Grüter "rekonstruierte" beispielsweise das heute real nicht mehr existierende Wohnzimmer seiner Eltern, von welchem aus er am 21. Juli 1969 (MEZ) via TV mitverfolgte, wie der erste Mensch den Fuss auf den Mond setzte. Er "bevölkert" diesen digital nachgestellten Raum mit virtuellen Astronauten genauso wie er dies bei Strassenbahnen, Tresorräumen bei Banken, Kinderspielplätzen oder einer "Russendicso", die für das renommierte Hochglanzmagazin "Lettre International" in Szene setzte, bewerkstelligte.

Es kommt nicht von ungefähr, dass die 3D-generierten Astronauten aus diesem Zyklus, an dem Grüter seit Jahren kontinuierlich arbeitet, stets die Gesichtszüge des Künstlers tragen. Es sind quasi Selbstporträts. Die Raumfahrt symbolisiert den Aufbruch in neue Räume und neue Zeiten. Der Astronaut als solcher ist in einem in jeder Hinsicht schrankenlosen Raum der Freiheit unterwegs. Er lebt im Orbit der "Freidimensionalität". Gleichzeitig ist er auf der Suche nach Schutz und Geborgenheit. Unmittelbar und direkt wird ihm dieser Schutz zunächst vom Raumanzug und von der Raumkapsel gewährt. Diese Attribute verkörpern quasi eine Art Kokon, in welchem der Weltensurfer Zuflucht und Sicherheit findet. Aus diesem Rückhalt heraus forscht er in Anlehnung an Douglas Adam’s "Per Anhalter durch die Galaxis" nach "Begegnungsorten am Rande des Universums". Diese Suche nach Begegnung, nach Neuem, nach künftigen Identitäten, nach Räumen, die im Zwischenbereich von realer und digitaler Welt angesiedelt sind, ist genau das, was Max Grüter mit Hilfe seiner künstlerischen Versuchsplattformen betreibt. (Karlheinz Pichler)


Max Grüter
Galerie Gluri Suter Huus, Wettingen
1. März bis 5. April 2009
Öffnungszeiten:
Mi bis Sa 15 – 18 Uhr
Sonntag 11 – 17 Uhr