Der kühle Blick des Verhaltensforschers: Otto Preminger

30. Juli 2012 Walter Gasperi
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38 Filme hat der am 5. Dezember 1906 (nach anderen Quellen auch 1905) in Wien geborene Otto Preminger gedreht. Er ließ sich auf kein Genre festlegen, gemeinsam ist seinen Filmen aber der klare prägnante Stil und die wiederkehrende Beschäftigung mit der Beziehung von Individuum und Institution. Das Filmfestival Locarno widmet Preminger die heurige Retrospektive.

Die Filmkarriere war Otto Preminger nicht in die Wiege gelegt. Zwar debütierte der gebürtige Wiener schon mit 17 Jahren bei Max Reinhardt als Schauspieler (in "A Mitdsummer Night´s Dream"), doch mit 19 begann er auf Rat seines Vaters ein Jus-Studium. Erst nach seiner Promotion im Jahre 1928 kehrte er zum Theater zurück. Er gründete "Die Komödie" in Wien und leitete von 1932 bis 1935 das Theater an der Josefstadt. Seinen ersten Film drehte er noch in seiner Heimat ("Die große Liebe", 1931), doch entschieden der neuen Kunst wandte er sich erst nach seiner Emigration in die USA (1935) zu.

Auf erste Kinoerfolge 1936 und 1937 ("Under Your Spell", "Danger, Love at Work") folgte das Zerwürfnis mit dem Produzenten Darryl F. Zanuck, das Preminger zu einer sechsjährigen Drehpause zwang. In dieser Zeit arbeitete er als Schauspieler, wobei er als österreichischer Jude gerade mit der Verkörperung von Nazis Erfolge feierte ("The Pied Piper", 1942). Der Erfolg des Anti-Nazi-Stücks "Margin for Error", das er 1939 in New York am Theater inszenierte und in dem er selbst die Hauptrolle spielte, brachte ihn 1943 zurück auf den Regiesessel in Hollywood.

Zanuck wollte Preminger für die Verfilmung von "Margin of Error" (1943) zwar nur als Schauspieler haben, akzeptierte ihn aber auch als Regisseur, als er anbot, den Film ohne Honorar zu inszenieren. Beeindruckt vom Erfolg des Films übergab Zanuck dem Exilösterreicher zwei Projekte des Studios als Produzent. Preminger überarbeitete mit mehreren Autoren das Drehbuch von "Laura" total und machte aus dem Kriminalstoff für ein B-Picture ein Meisterwerk des Film noir (1944).

Markante Frauenrollen wie in "Laura" kennzeichnen viele Filme Premingers. Jean Simmons brilliert in "Angel Face" (1952) als skrupelloses Töchterchen aus reichem Haus, das Robert Mitchum umgarnt und schließlich ins Verderben stürzt. Geradezu eine Bühne für Marilyn Monroe ist der Western "River of No Return" (1954) und über die Francois Sagan-Verfilmung "Bonjour Tristesse" (1957), in der Jean Seberg die Hauptrolle spielt, schrieb Francois Truffaut die Arbeit des Regisseurs bestehe darin hübsche Frauen hübsche Dinge machen zu lassen.

Preminger war aber auch ein Innovator, der stets mit den Möglichkeiten des Kinos experimentierte. Als einer der wenigen nutzte er schon Mitte der 50er Jahre in "River of No Return" das Cinemascope-Format dramaturgisch und füllte die breite Leinwand mit Handlung und nicht nur mit Schauwerten. Als einer der ersten Filmregisseure arbeitete er mit Jazz-Musik ("The Man With the Golden Arm", 1955; "Anatomy of a Murder", 1959) und für Aufsehen sorgte auch seine nur mit Afroamerikanern besetzte "Carmen"-Version "Carmen Jones" (1954).

Mit dem Studiosystem kam Preminger, der am Set wie ein Diktator regierte und mit seinen cholerischen Anfällen seinen Schauspielerinnen das Fürchten lehrte, nie zurecht, sah sich als "Vorarbeiter in einer Wurstfabrik" und strebte folglich Unabhängigkeit an. Ab 1953 arbeitete er als "freier Produzent" und Regisseur um die Kontrolle über die Filme zu haben, die er machen wollte.

Er testete immer wieder die Grenzen der amerikanischen Zensur aus thematisierte in der Komödie "The Moon is Blue" Jungfräulichkeit, griff damals brisante Themen aufgreifen wie die Rassenproblematik in "Carmen Jones" oder Rauschgiftsucht in "The Man With the Golden Arm" (1955) oder ließ - wie Stanley Kubrick bei "Spartacus" - Dalton Trumbo, der als Kommunist auf Hollywoods schwarzer Liste stand, unter seinem eigenen Namen das Drehbuch für "Exodus" (1960) schreiben . Sein bester Film gelang ihm aber vielleicht mit dem Gerichtsdrama "Anatomy of a Murder" (1959), in dem sein nüchtern präziser, wohl auch durch das Jus-Studium geschulter Blick einen idealen Stoff fand.

Vor allem durch die unabhängig produzierten Filme zieht sich als Leitthema die Beziehung des Individuums zu Institutionen, in die sie eingebunden sind. Preminger ist sichtlich fasziniert zu untersuchen, wie der Einzelne und die Kirche ("Saint Joan", 1957; "The Cardinal", 1963), eine Partei ("Advise and Consent", 1962), das Militär ("The Court Martial of Billy Mitchell", 1955; "In Harm´s Way", 1964), politische Bewegungen ("Exodus", 1960) oder Geheimdienste ("The Human Factor", 1979) interagieren. – Wie ein Wissenschaftler untersuchte Preminger, der am 23. April 1986 an Krebs starb, nicht nur in diesen Filmen kühl und distanziert das menschliche Verhalten.

Otto Preminger Porträt (4 x 15 Minuten)