Der geniale Mister Hendell

15. September 2010 Rosemarie Schmitt
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"Der geniale Mr. Hendell ist sehr indisponiert, und sein Denken befindet sich in heilloser Verwirrung, zur Zeit kann er seine rechte Hand nicht gebrauchen und wenn er die Gewalt über sie nicht wiedergewinnt, wird das Publikum seiner schönen Kompositionen beraubt sein." Dies berichtete die "London Evening Post" am 14. Mai 1737. Diese Nachricht erreichte die Londoner Musikwelt 6 Tage nach der Uraufführung von Georg Friedrich Händels Oper "Berenice".

Der damals 52jährige Händel hatte einen Schlaganfall erlitten. Eigentlich kein Wunder wenn man bedenkt, welches Arbeitspensum er sich auferlegte. Händel war ebenso ungeduldig wie zielstrebig und ehrgeizig (ob es ihm eine Ehre war geizig zu sein?). Was dieser Mann sich in den Kopf gesetzt hatte, bekam er auch, meistens! Und am besten sofort! Diese Erfahrung machten wohl als erste seine Eltern. Händel stammte, im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Johann Sebastian Bach, aus keiner musikalischen Familie. Die Gene stehlen sich in diesem Falle also einmal aus der Verantwortung. Die Eltern waren nicht angetan von dem recht frühen Wunsch ihres Sohnes, Musiker zu werden. Nein, das war keinesfalls eine Option! Der Filius sollte etwas Anständiges lernen und gefälligst die Juristerei studieren.

Georg Friedrich erklärte sich zu diesem Studium bereit vorausgesetzt, er dürfe die musikalischen Stunden bei dem damals besten Organisten der Stadt Halle (ja, er war ein Sachse!) weiterhin nehmen. Und der Vater, er war Arzt, war einverstanden und ruhig, doch sicherlich vernahm Gott sein Knurren. Ich möchte nicht so weit gehen, daß Georg Friedrich Händel jubilierte, als sein Vater starb. Dies geschah, als der Junge gerade mal 1 Jahr Jura studierte. Und Sie ahnen es bereits, liebe Leser, der Filius "schmiss" nach dem Tod seines Vaters die ganzen Paragraphen hin und wandte sich ganz und gar den geliebten Musiknoten zu. Der junge Händel war zu diesem Zeitpunkt übrigens 12! Er war jemand, der sich nicht von seinem Weg abbringen ließ. Er nahm schon mal einen Umweg, aber sein Ziel verließ er niemals aus den klugen Augen. Und dies sollte auch schon mein kurzer Umweg von Händels Jugend zu seiner Zeit in England gewesen sein.

Gehen wir zurück oder vor in das Jahr 1737 nach London. Nein, lassen Sie uns einen Zwischenstop im Jahre 1728 einlegen, denn ich vermute, dort finden wir die eigentliche Ursache seines späteren Schlaganfalles. Händels Kompositionen erfreuten sich nicht nur außerordendlicher Beliebtheit, nein, im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen und Zeitgenossen verfügte er über mehr als genügend Vermögen. Und dann pfuschte diesem so vom Erfolg verwöhnten George Frideric Handel (so pflegte er in England zu unterzeichnen) dieses Gespann Pepusch und Gay dazwischen. Oh, ich kann ihn mir so gut vorstellen, den Herrn Handel, wie aufgebracht er gewesen sein muß! Sicher in derber Manier, laut schimpfend und fluchend, bis hin zur purpurnen Zornesröte eines noch sehr unfertigen Brat-Händels!

Es geschah am 29. Januar 1728, als die "Beggars Opera" von Pepusch und Gay in London erstmals aufgeführt wurde. Und nicht nur das niedere Volk der Oberschicht, nein, auch das noch gemeine niedere Bürgervolk rannte, um diese "Oper" zu sehen und zu hören. Das ganze "Adelsgesindel" (ich schreibe dies so, weil doch der gute Händel so aufgebracht darüber war, nur deshalb!), also das ganze Gesindel, und auch das "normale" Volk stürmte zu den Aufführungen und konnte nicht genug bekommen von Dirnen, Bettlern, Halunken. Spott und Hohn für die Oberschicht! Alle wollten die Bettleroper! Sehen Sie, wie gut, daß Sie regelmäßig meine Kolumne lesen. So wissen Sie nicht nur um die Bettleroper, nein, Sie kennen sogar deren Fortsetzung. Also wurden mit der "Beggars Opera" die Opern Händels (und die der gesamten damaligen Opernwelt) ad absurdum geführt! Niemand wollte sie mehr sehen und hören. Es kam sogar so weit, daß das Opernhaus "Royal Academy of Music", welches Händel leitete, schließen mußte. Welch eine Schmach.

Doch wenn Sie nun glauben, Händel hätte aufgegeben, dann täuschen Sie sich gewaltig! Ich sagte Ihnen ja bereits, wie zielstrebig und ehrgeizig er gewesen ist. Er arbeitete wie ein Verrückter, aber es blieb ein steiniges und kräftezehrendes Auf und Ab. Erinnern Sie sich noch an die Nachricht vom 14. Mai 1737? "Der geniale Mr. Hendell ist sehr indisponiert, und sein Denken befindet sich in heilloser Verwirrung, zur Zeit kann er seine rechte Hand nicht gebrauchen und wenn er die Gewalt über sie nicht wiedergewinnt, wird das Publikum seiner schönen Kompositionen beraubt sein."

Eine Komposition hatte das Publikum jedoch ganz sicher, denn sie war erst 6 Tage zuvor erstmals aufgeführt worden. Es war die zauberhafte Oper "Berenice". Und um dieses Werk geht es mir eigentlich. Ich wollte Ihnen allerhand über diese Oper berichten, aber Sie kennen mich ja mittlerweile. Ich schweife ständig ab. Gibt es doch auch so wahnsinnig viel Interessantes zu erzählen, ganz besonders von Händel. Ach, wissen Sie was, ich kann Ihnen eine Menge erzählen, aber die Musik, die hören Sie sich am besten selber an! Und ich wette mit Ihnen, Sie werden begeistert sein, begeistert sein müssen! Die in Venedig lebende Schriftstellerin Donna Leon liebt die Händel-Opern über alle Maßen und reist um die ganze Welt, um keine interessante Aufführung zu verpassen. Also ich kann sie verstehen.

Die ganze Aufregung, die vielen Kämpfe für die Musik und Händels verbissener Ehrgeiz zollten nun also ihren Tribut, und Händels Gesundheit machte nicht mehr mit. John Mainwaring, der 1735 geborene englische Theologe und erster Händel-Biograph bestätigte den Grund für den Schlaganfall des Komponisten, als er berichtete: "(...) Die Heftigkeit seiner hierüber bezeigten Entrüstung machten die Wirkung des Unfalls desto schrecklicher. Daß selten ein Unglück allein kommt, ward bey Händel, als ein bewährter Spruch, befunden. Sein Verlust erstreckte sich nicht nur über sein Geld und Gut; sondern auch über seinen Verstand und seine Gesundheit. Sein rechter Arm war vom Schlage unbrauchbar geworden, und wie sehr ihm zu gewissen Stunden, auf lange Zeit, die Sinnen verrückt gewesen, davon sind hundert Beyspiele vorhanden, die sich besser zum Verschweigen, als zum Berichten schicken (...)."

Nach seinem Schlaganfall im Mai ließ sich Händel Monate später also endlich zu einem Kuraufenthalt überreden. So reiste Händel im September nach Aachen, um sich dort kurieren zu lassen. Oh nein, er reiste nicht etwa deprimiert und niedergeschlagen nach Deutschland, sondern kampfeslustig wie ein Torero! Kaum in Aachen angekommen, gönnte er sich Kuranwendungen, ganz nach seiner Art. Das zwanzigfache der üblichen Prozedur mußte es sein, schließlich hatte er noch anderes zu tun und wollte sich so schnell als möglich wieder seinen Aufgaben in London widmen. Er übertrieb mal wieder! Und mal wieder mit Erfolg!

Voller Dank und Freude über die wiedergewonnene Gesundheit soll er in der Stadtkirche in Burtscheid ein herrliches Orgelkonzert gegeben haben. Die zutiefst ergriffenen Hörer schrieben die Heilung dem Wunderwirken der heiligen Cäcilia zu. Anfang November kehrte Händel nach London zurück. Kaum aus Aachen zurückgekehrt und wieder im Vollbesitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte ging George Frideric Handel frisch an die Arbeit und begann, die Oper "Faramondo" zu komponieren.

Doch bevor Sie sich "Faramondo" zuwenden, widmen Sie sich dieser Gesamtaufnahme der "Berenice". Das EMI-Label "Virgin" hält hierzu für Sie eine Gesamtaufnahme bereit (na ja, nicht nur für Sie, liebe Leser. Menschen, die "ClassiCuß" nicht lesen, können die CD auch kaufen). Das Orchester "Il Complesso Barocco" unter der Leitung von Alan Curtis hat sich Händel in wunderbarer Weise zu eigen gemacht. Und achten Sie mal ganz besonders auf die Rolle des Demetrio! Hat dieser Franco Fagioli nicht eine phantastische Stimme!? Er hat! Und eine Oper ohne Mord und Totschlag ist ja auch mal was Schönes! Aber diese "Berenice" ist mehr als nur schön! Diese Musik ist eigentlich unbeschreiblich.

Er war eben einfach genial, dieser Mister Hendell! Finden Sie nicht auch?

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt