Der 15. Harder Literaturpreis wurde vergeben

Für den 15. Harder Literaturwettbewerb waren Autorinnen und Autoren eingeladen, literarische Prosatexte einzusenden, die versteckte Verbindungen auskundschaften, möglicherweise Liegengebliebenes aufstöbern, (außer)gewöhnliche Kommunikationswege oder innovative Rohrsysteme in den Mittelpunkt stellen. Den Hauptpreis erhält Susanne Tägder. Die Förderpreise gehen an Joachim Off und Martin Peichl.

Bis vor knapp 100 Jahren war die Rohrpost das wichtigste Kommunikationsmittel über weite Strecken. Unter den Metropolen verliefen ausgeklügelte Rohrsysteme, die für geschäftliche und private Sendungen genutzt wurden: "Komme ich nach Wien, schreibe ich Dir einen Rohrpostbrief", schrieb Franz Kafka 1920 an Milena Jesenská. In Erich Kästners Gedicht "Die Entwicklung der Menschheit" (1932) wiederum steht die Rohrpost für Innovation: "Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr". Vor einigen Jahren erregte Elon Musk mit seiner Idee, die Beförderung von Menschen mit einer Art Rohrpost möglichst zeiteffizient zu gestalten, Aufsehen. Heutzutage begegnen wir Berichten über Rohrleitungen vor allem in Zusammenhang mit Gas- und Öllieferungen aus dem Osten.

Egal ob Öl, Gas, Liebesbriefe, Geschäftskorrespondenz oder anderes: Rohre ermöglichen Austausch und Kommunikation, und sie schaffen eine Verbindung über weite Strecken – verbinden aber auch, was nicht unbedingt miteinander in Verbindung gebracht werden will.

Der Harder Literaturpreis wurde heuer zum 15. Mal ausgeschrieben, und das zu seinem 40-Jahr-Jubiläum. Seit 1982 wird er in regelmäßigen Abständen ausgeschrieben und für unveröffentlichte deutschsprachige literarische Texte vergeben – bis vor zehn Jahren in dreijährigen Abständen, seit 2012 alle zwei Jahre.

Im anonymen Verfahren ermittelte die sechsköpfige Jury die Siegertexte aus 141 höchst unterschiedlichen Einsendungen. Der Hauptpreis geht an Susanne Tägder, die nahe Zürich lebt. Ihr Text "Postkarten" besticht durch eine spritzige und knappe, aber sehr ausdrucksstarke Sprache, und setzt das nicht unbedingt einfache Thema gleich auf mehreren Ebenen gekonnt um. Während das verstopfte Abflussrohr nur eine Nebenrolle spielt, werden die Leser:innen von ungewöhnlichen Kommunikationswegen – nicht nur, aber vor allem zwischen der knapp 40-jährigen Mutter und ihrer Teenager-Tochter –, starken Bildern und spielerischen Wendungen überrascht.

Die beiden Förderpreise werden Martin Peichl aus Wien und erneut Joachim Off aus Gerlingen bei Stuttgart zuerkannt. Als nach der Entscheidung die Anonymität aufgelöst und die Namen der Autor:innen vorgelesen wurden, staunte die Jury: Nach 2020 hatten sie erneut einen Text von Joachim Off für einen Förderpreis ausgewählt. Sein Text "Ron bleibt im Regal" ruft beim Lesen zunächst eine leichte Verwirrung hervor und spiegelt dadurch den Zustand des Protagonisten wider, berührt aber nach Auflösung des Rätsels und vermittelt Authentizität, ohne zu belehren oder erklären. Literarische Kunst ist es, die hier das Thema Demenz verhandelt.

Martin Peichl hat "Die friedlichste in der Natur vorkommende Umverteilung" eingereicht und nimmt die Leser:innen mit zu Gedankenexperimenten des Ich-Erzählers, der sich plötzlich mit einer Füchsin konfrontiert sieht.

Susanne Tägder (geboren 1968) stammt aus Heidelberg. Nach ihrem Studium in Deutschland und den USA arbeitete sie als Anwältin und Richterin und wohnte viele Jahre im Silicon Valley. Sie veröffentlicht Kurzgeschichten und Essays und lebt heute mit ihrer Familie in Rüschlikon bei Zürich. Für einen Auszug aus ihrem ersten Roman erhielt sie 2022 einen Werkbeitrag Literatur des Kantons Zürich.

Joachim Off wurde 1974 in Leonberg bei Stuttgart geboren. Er ist Vorstandsmitglied des 42er-Autoren e.V., einem 1999 gegründeten Verein zur Förderung der Literatur, gewann den 2. Schwäbischen Literaturwettbewerb (2019), einen Förderpreis beim 14. Harder Literaturpreis (2020) und nahm am Literarischen Forum Oberschwaben (2020/2022) teil. Er wohnt in Gerlingen bei Stuttgart.

Martin Peichl (geboren 1983) stammt aus dem Waldviertel. Er lebt, schreibt und veranstaltet in Wien. Bisher erschienen: "Wie man Dinge repariert" (Edition Atelier, 2019), "In einer komplizierten Beziehung mit Österreich" (Kremayr & Scheriau, 2020) und "Gespenster zählen" (mit Fotos von Matthias Ledwinka, Kremayr & Scheriau 2021). Das aktuelle Romanprojekt mit dem Arbeitstitel "Nirgendwo sein, nirgendwo bleiben" ist für 2024 geplant.

Die prämierten Texte erscheinen gemeinsam mit weiteren herausragenden Einsendungen in einer Sonderausgabe der Literaturzeitschrift "miromente". Sie ist bei der Preisverleihung oder auf Bestellung erhältlich (www.miromente.at).

Die Preisverleihung findet am Freitag, 9. Dezember 2022 um 19 Uhr in der Kammgarn Hard statt. Die Hauptpreisträgerin und Förderpreisträger werden ihre Texte lesen, das Duo Brothers and Borders begleitet den Festakt musikalisch und für das leibliche Wohl wird ebenfalls gesorgt. Der Eintritt dazu ist wie immer frei.

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