Denkmäler zu Mahnmalen

15. Oktober 2013
Bildteil

200 Jahre Völkerschlacht bei Leipzig. Eigentlich sei ein runder Jahrestag der größten Massenschlacht des 19. Jahrhunderts kein Anlass zum Feiern, findet Steffen Poser, der Leiter des Völkerschlachtdenkmals und Autor des hilfreichen Handbuchs "Die Völkerschlacht in Stichworten" (Leipzig 2013). "Die Gefallenen der Befreiungskriege haben ihr Leben riskiert, weil sie geglaubt haben, das würde ihnen und der Zukunft ihrer Kinder dienen. Und wenn man sich anschaut, wie die Geschichte nach dem Sturz Napoleons weiterging, dann stellt man fest, man hat diese Leute betrogen."

Das Europa Metternichs, das danach entstand, unterdrückte demokratische und nationale Unabhängigkeitsbestrebungen, Protagonisten der Befreiungskriege, die in den Kriegsjahren hoch gefeiert wurden, waren danach plötzlich verpönt und verloren ihre Stellen, der versprochene einheitliche Staat lag in weiter Ferne. "Das ist ein ganz kompliziertes Thema. Dennoch glaube ich, dass es richtig ist, an Menschen, die nicht für sich selbst, sondern für die Allgemeinheit versuchten, in schweren Situationen komplizierte Dinge zu tun und dabei ihr Leben verloren, zu erinnern."

In Leipzig tut man das zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht vom 16. – 20. Oktober mit einer offiziellen Gedenkwoche. Sie ist umrankt von einem bunten Veranstaltungsreigen, der die Stadt schon seit Mai in Atem hält. Rund 70 Akteure aus Leipzig und Umgebung wirken an den Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Lesungen, Konzerten, Ausstellungen, Bühnenvorführungen, historischen Märkten, Volksfesten und Biwaks mit, die ein Programmheft von 50 Seiten füllen. Fast könnte man neidisch werden angesichts der enormen kreativen Energie, die die mitteldeutsche Messestadt freisetzt.

Alle Veranstaltungen verbindet ein Grundgedanke: das kriegerische Ereignis wird als abschreckendes Beispiel dafür gesehen, wie Politik und Geschichte in Zukunft gerade nicht aussehen sollten. Man schaut sich also genau an, wie man damals lebte und handelte, und setzt sich mit zeitgemäßen Alternativen auseinander.

Einer der Orte des Gedenkens ist das Völkerschlachtdenkmal auf dem einstigen Schlachtfeld vor den Toren Leipzigs selbst. Der monumentale Bau des Berliner Architekten Bruno Schmitz, plastisch ausgestaltet mit Arbeiten im symbolistischen Jugendstil des böhmischen Bildhauers Franz Metzner, wurde zum einhundertsten Jahrestag der Völkerschlacht am Vorabend des Ersten Weltkriegs fertiggestellt und wird nun nach einer Renovierung erneut der Öffentlichkeit übergeben. Es drücke eine Geisteshaltung aus, die heute nicht mehr die unsere sei, findet Steffen Poser, der das 91 m hohe Monument beim seinem täglichen Gang ins Büro passiert, doch es helfe zu verstehen, wie unsere Ururgroßväter getickt hätten, wie die Gesellschaft damals verfasst gewesen sei.

"Solche Erinnerungsmale, wo sich eine Nation als besonders bedeutend, als besonders kraftvoll darstellt, gibt es in ganz Europa. Und wenn wir heute doch ganz konkret von einem vereinigten Europa reden, dann stellt sich natürlich die Frage: Was mache ich mit solchen Orten? Und ich glaube, das Sinnvollste, was man damit machen kann, ist, sie als ein Stück gemeinsamer Geschichte, als Wegmarke der Entwicklung zu einem wirklich vereinten Europa zu verstehen." Die Zeichen der Zeit haben sich seit 1913 und erst recht seit 1813 verändert. Das Monument aus Granitporphyr ist zu einem Mahnmal geworden. Religionsfrieden und politischer Konsens sind die Reizworte, die im Leipzig von 2013 beim Gedenken an eine der blutigsten Schlachten der europäischen Geschichte den Ton angeben.

Deshalb hat man für den 17. Oktober am Völkerschlachtdenkmal ein ökumenisches Friedensgebet mit evangelischen, katholischen und orthodoxen Würdenträgern aus den 1813 beteiligten Ländern angesetzt; deshalb spricht hier am 18. Oktober beim politischen Festakt der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz; deshalb wird am 19. Oktober auf dem Gelände vor dem Völkerschlachtdenkmal den ganzen Tag lang ein rauschendes "Fest der Menschen" mit kulturellen Kostproben und kulinarischem Köstlichkeiten aus sechs europäischen Ländern gefeiert.

Man will Europa fühlbar machen in Leipzig, denn positive Emotionen befördern, wie man weiß, den friedfertigen Umgang miteinander, genau wie ihn umgekehrt die gezielte Manipulation der Massen gefährden kann.

Ein Anliegen ist daher im Zuge des Gedenkens auch ein aufgeklärtes Geschichtsverständnis. Um dieses kümmern sich in Leipzig die Wissenschaftler und Ausstellungsmacher: mit einem wahrhaft multiperspektivischen Blick auf die Befreiungskriege. Das soll helfen, verkrustete Geschichtsbilder aufzuweichen und bewusst zu machen, dass die Antworten auf historische Ereignisse und Persönlichkeiten immer von den Fragen abhängen, die man an sie stellt, diese sich aber im Laufe der Zeit ändern.

Die kontextuelle Bedingtheit von Geschichtsbildern transparent zu machen, ist denn auch die tragende Säule der Konzeption der Ausstellung "Helden nach Maß" im Stadtgeschichtlichen Museum. Am Beispiel nationaler Symbole und Mythen, die ihren Ursprung in den Befreiungskriegen haben, sowie deren Überlieferungsgeschichte bis in die Gegenwart, zeigt sie auf, dass Geschichtsschreibung allen verbürgten Fakten zum Trotz stets selektiv und daher unvollständig, an Standpunkte gebunden und daher einseitig bleiben muss.

Reflektiert die Ausstellung also den komplizierten Vorgang der Entstehung von Geschichten aus Geschichte, kommt dabei die wissenschaftliche Kleinarbeit dennoch nicht zu kurz. Eine akribische Darstellung des Zeitgeschehens, Fakten in Hülle und Fülle findet man in dem hervorragenden Ausstellungskatalog, der die napoleonische Ära und deren Nachwirkungen in wissenschaftlichen Essays sowie ausführlichen Kommentaren zu den Exponaten abhandelt.

Und wie zur Untermauerung der Hypothese von der Relativität aller Geschichtsschreibung ist parallel zur Ausstellung "Helden nach Maß" in Leipzig noch eine zweite Ausstellung über die Befreiungskriege zu sehen, und zwar im Schloss Markkleeberg. Diese stellt die Rolle der Österreicher in den Befreiungskriegen in den Mittelpunkt und wurde in Zusammenarbeit mit dem Salzburger Wehrgeschichtlichen Museum gestaltet. Was Wunder, dass darin manch ein Akteur, manch ein Schritt eine gänzlich andere Einschätzung erfährt als unter sächsischem Blickwinkel.

Fährt man vom Stadtgeschichtlichen Museum im Stadtzentrum von Leipzig durch die Prager Straße auf das Völkerschlachtdenkmal zu, drängt sich einem angesichts von dessen kolossaler Silhouette, die immer höher, immer gewaltiger aufragt, unwillkürlich die Frage auf, ob denn nicht auch die Widerstandsbewegung gegen die kommunistische Diktatur hierin eine symbolische Stütze gefunden habe. Schließlich ist mit dem Denkmal der Freiheitsbegriff untrennbar verbunden. Doch hier muss Steffen Poser verneinen. Zu einer solchen Deutung hatte man sich in der Stadt der Friedlichen Revolution bis 1989 nicht vorgearbeitet. Noch nicht.

Maria Hammerich-Maier