Denis Savary - Le Narrenschiff

Charakteristisch für Denis Savarys (*1981 Granges-Marnand, lebt und arbeitet in Lausanne und Paris) Schaffen der letzten zehn Jahre sind einerseits formell sachlich gehaltene Videoarbeiten und andererseits fragile Zeichnungen im Kleinformat. Die für die Ausstellung im Kunsthaus CentrePasquArt ausgewählten Videoarbeiten sind zwischen 2005 und 2010 entstanden.

Die durch Zufall gefundenen Szenen dauern meist nur wenige Minuten, zeugen aber von der Sensibilität und Subtilität, mit welcher der Künstler seine Plansequenzen dreht. Zusammengefasst unter dem Titel "Le Narrenschiff", in Anlehnung an Daß Narrenschyff ad Narragoniam von Sebastian Brant (1494), erzählen die von Alltagsszenen ausgehenden Sequenzen von der Nutzlosigkeit und Absurdität menschlichen Handelns und generieren eine Atmosphäre, die gleichzeitig beengend, poetisch und malerisch ist.

Bereits als Student der ECAL, der Ecole cantonale d’art de Lausanne, realisiert Denis Savary La Courtisane (2003), eine in einem Sandsteinbruch gedrehte Plansequenz. Zu sehen sind ein Geige spielender Mann und Motorradfahrer, die die Sandhügel hinunterbrausen. Die entrückte Atmosphäre wie auch die Originalität dieses Videos erregten Aufmerksamkeit. Für jedes Projekt schafft der Künstler Filmbilder, die ihren Ursprung in realen Situationen haben, auch wenn diese noch so eigenartig sind. Mit seiner Kamera fängt er Momente ein, nicht um Geschichten zu erzählen, sondern um visuelle Kompositionen zu kreieren. Er bedient sich der Technik des Videos, indem er wenige Minuten dauernde Plansequenzen dreht, die wie Gemälde funktionieren. Beeinflusst von den ersten cinematografischen Experimenten der Frères Lumière (1862-1954 bzw. 1864-1948) oder den Filmen von T.A. Edison (1847-1931), verweisen seine Videos auch auf zahlreiche Werke aus der Kunstgeschichte.

Die Arbeiten, die Denis Savary im Rahmen seiner Ausstellung im CentrePasquArt präsentiert, greifen in Anlehnung an Sebastian Brant die Thematik des Narrenschiffs auf. Vereint auf einem Schiff werden in diesem bedeutenden Werk der deutschsprachigen Literatur jegliche menschliche Fehlverhalten und Laster vor Augen geführt. Michel Foucaults Geschichte des Wahnsinns (1961) folgend, geht es Denis Savary hingegen nicht um die Darstellung der menschlichen Narrheiten, sondern vielmehr um das Gefühl der Einkapselung, um den beengenden Charakter, um die Vorstellung der Ausgrenzung, die er mit dem Bild des Bootes verbindet. Einem Boot, das sich verirrt und gleichsam in ein anderes Raum-Zeit-Kontinuum einzudringen scheint.

Die Protagonisten seiner Filme sind kaum sichtbar, zum Teil nur hörbar. Sie sind aus dem gleichen Stoff wie die Landschaften, in denen sie sich befinden. Eine Verbindung, wenn nicht sogar eine Spannung zwischen Figur und Hintergrund, scheint unvermeidbar. Im Video Saint-Martin (2006, Parkett 2) wirkt die Person, die der Fassade einer Kirchenruine entlang klettert, wie ein Regenwurm, der in den Steinen des Bauwerks kaum auszumachen ist. Ähnlich wie in Le Frau (2006, Gang Parkett 2)- der Name entspricht demjenigen des Reservats, in dem das Video gedreht wurde- auch hier scheint sich die zentrale Figur mehr und mehr mit den Bäumen des Hintergrundes zu verbinden.

Auf grosse Flächen projiziert, suggerieren diese Videos einen Bezug zur Zeit, der nicht der Abfolge einer Erzählung dient, sondern der Kontemplation. Die Einfachheit der Abläufe und Handlungen schaffen eine erwartungsvolle Stimmung. Die Besucher werden nicht eingeladen, in eine Geschichte einzutreten, sondern in einen malerischen und poetischen Raum. Pornic (2010, Parkett 2) zeigt ein schönes Herrenhaus, das sich inmitten eines wunderbaren Parks befindet. Der Gesang der Vögel wird allmählich hörbar und füllt die Leere aus, unterstreicht sie aber gleichzeitig. Die geschlossenen Gebäude des Klosters Saint-Ermes (2009, Salle Poma), die in morgendlichen Dunst getaucht sind, werden zum Inbegriff der Einkapselung und der Zeitlosigkeit. Der Lärm einer Motorsäge, abstrakt zuerst, wird plötzlich konkret in dem Moment, in dem die Äste des Baumes auf den Hof krachen.

Obwohl die Videos individuell gezeigt werden, sind sie auf der Ebene des Tons miteinander verbunden. Den Vogelgesang aus Le Frau hört man bereits im Treppenhaus, das in die Ausstellung führt, er begleitet die Besucher weiter in alle Räume des Parkett 2, übertönt wird er lediglich im Gang und zwar vom Lärm der Motorsäge aus Saint-Ermes. Das Knistern des Feuers aus Brûlis (2010, Parkett 2) oder der Lärm der Tambours (2006, Parkett 2) zieht sich von Raum zu Raum, so dass sich visuelle und auditive Eindrücke immer wieder neu konstituieren, je nachdem, wo man sich gerade befindet.

Denis Savary - Le Narrenschiff
13. Juni bis 29. August 2010