In den Keller statt auf die Leinwand: DDR-Filmverbote 1965

6. März 2017 Walter Gasperi
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In den frühen 1960er Jahren blühten in Osteuropa mit einer politischen Liberalisierung auch im Film neue Wellen auf. Auch in der DDR begann ein frischer Wind zu wehen, doch auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED wurden 1965 zahlreiche Filme vor ihrer Veröffentlichung verboten, landeten in den Archiven und wurden erst 25 Jahre später im Zuge der Wende wiederentdeckt. Das St. Galler Kinok widmet diesen "Keller- oder Kaninchenfilmen" im März eine Filmreihe.

Nach dem Tod Stalins 1953 kam es nicht nur in der Sowjetunion, sondern im gesamten Ostblock zu Liberalisierungen. In dieser bis etwa zur Entmachtung Nikita Chruschtows im Jahre 1964 währenden Tauwetter-Periode meldeten sich in der Sowjetunion neue Regisseure wie Andrej Tarkowskij zu Wort, die sich vom formelhaften Sozialistischen Realismus lösten und in einer ganz eigenen, subjektiven Filmsprache erzählten.

Eine international gefeierte Neue Welle entwickelte sich in dieser Zeit im Zuge des Prager Frühlings auch in der Tschechoslowakei und auch das polnische Kino blühte mit Andrzej Wajda, Roman Polanski und Jerzy Skolimowski.

Bewegung kam in dieser Zeit aber auch in die DDR. Einerseits schottete man sich mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 vom Westen ab, in den seit Kriegsende rund 2,6 Millionen Menschen abgewandert waren. Andererseits kam es zu einer Liberalisierung im Strafrecht, einem Ausbau des Warenangebots, sowie zum Versuch, die Macht etwas nach unten zu delegieren.

In der Kultur versuchte man den Sozialistischen Realismus weiterzuentwickeln und die Kluft zwischen Kunst und Leben zu verringern. Künstler sollten sich der Arbeiterschaft nähern, indem sie vorübergehend in Betrieben arbeiteten, während gleichzeitig Arbeitende zu künstlerischer Betätigung animiert werden sollten.

Ein Ergebnis dieser Bewegung war Christa Wolfs 1963 erschienene Erzählung "Der geteilte Himmel", die Konrad Wolf schon ein Jahr später verfilmte. Wolf erzählt in dem kurz vor dem Mauerbau spielenden Film in einer komplexen Rückblendenstruktur, die an die Filme von Alain Resnais anknüpft, von einer Lehramtsstudentin, die eine Arbeit in einer Waggonfabrik annimmt und so die Probleme der Arbeiterschaft aus erster Hand kennenlernt.

Gleichzeitig lässt Wolf mit der Liebesgeschichte zwischen der angehenden Lehrerin und einem zehn Jahre älteren Chemiker, der schließlich in den Westen übersiedelt, zwei gegensätzliche Lebensentwürfe aufeinandertreffen.

Offen hält der Film der DDR-Gesellschaft den Spiegel vor, zeigt die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis und die Spannung zwischen Individuum und Staat, thematisiert aber auch die deutsche Teilung und stellt den Lebensstil im Osten dem im Westen gegenüber.

Nicht weiter als die in den folgenden beiden Jahren entstandenen Filme ging "Der geteilte Himmel", doch das politische Klima änderte sich und abrupt endete diese Reformperiode im Dezember 1965 mit dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED.

Standen bei diesem Parteitag zunächst Wirtschaftsfragen im Mittelpunkt, so entwickelte sich daraus ein Strafgericht gegen Kunst und Kultur. Obwohl die Filme den Sozialismus an sich nicht in Frage stellten, sondern nur auf Idealisierung verzichteten, gesellschaftliche Zustände im Arbeiter- und Bauernstaat hinterfragten, realistisch den Alltag schilderten und eine Öffnung und Weiterentwicklung der sozialistischen Gesellschaft forderten, wurden ihnen im Bericht des Politbüros "dem Sozialismus fremde, schädliche Tendenzen und Auffassungen" vorgeworfen.

90% der Jahresproduktion der DEFA wurde verboten. Einige Filme – wie Frank Bayers "Spur der Steine" (1966) – waren zuvor schon kurz im Kino gelaufen, bei anderen – wie Klaus Barthels "Fräulein Schmetterling" (1966) – wurde die Fertigstellung verhindert. Die Regisseure und Drehbuchautoren erhielten teilweise jahrelange Berufsverbote, die verantwortlichen Funktionäre wurden durch linientreue Genossen ersetzt.

Die Filme aber landeten im Archiv, was zur Bezeichnung "Kellerfilme" oder "Regalfilme" führte, in Anlehnung an Kurt Maetzigs "Das Kaninchen bin ich" (1965), der neben Frank Vogels "Denk bloß nicht, ich heule" (1965) zum exemplarischen Fall für den Kahlschlag nach dem 11. Plenum wurde, erhielten sie auch den Beinamen "Kaninchenfilme".

Gestoßen hat sich die Partei an "Das Kaninchen bin ich" dabei an Maetzigs Auseinandersetzung mit dem Rechtssystem. Nicht nur die Kritik an der Verurteilung eines jungen Mannes zu einer mehrjährigen Haftstrafe wegen "staatsgefährdender Hetze" missfiel den Machthabern, sondern auch die Darstellung eines Staatsanwalts, der Vorbildfunktion haben sollte, von Maetzig aber als opportunistischer Karrierist charakterisiert wurde.

Zentrale Rolle spielt in den verbotenen Filmen immer wieder eine Jugend, die den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg kaum mehr erlebt hat und die Errungenschaften des sozialistischen Staates nicht unhinterfragt bejaht. So steht im Mittelpunkt von "Denk bloß nicht, ich heule" ein Schüler, der mit Aussagen wie "Ich brauche die Republik nicht!"“ provoziert und auf seine Individualität pocht.

Zu selbstständigem und kritischem Denken möchte dagegen die junge Lehrerin in Hermann Zschoches "Karla" (1966) ihre Schüler erziehen. Ihr nonkonformistisches Verhalten stößt sowohl bei Kollegen und Direktion als auch bei den Schülern auf unterschiedliche Reaktionen, die bei Karla zu einem Schwanken zwischen Resignation und beharrlicher Fortsetzung des eigenen Weges führen. Diese Haltung der Protagonistin, die - laut Parteibüro - nicht sozialistische, sondern allgemein humanistisch-abstrakte Bildungsideale vertrete und das "verzerrte Bild sozialistischer Schulpolitik" führte dazu, dass "Karla" noch vor der Fertigstellung verboten wurde.

Auch der einzige Spielfilm des Dokumentarfilmer Jürgen Böttcher wurde bereits in der Rohfassung zurückgezogen. Dabei übt Böttcher in "Jahrgang 45" (1966/90) im Grunde gar nicht Kritik, sondern beschränkt sich darauf den Alltag des in den Tag hinein lebenden unschlüssigen jungen Automechanikers Al zu schildern.

Doch schon die atmosphärisch dicht eingefangene Realität sowie die Ziellosigkeit des Protagonisten und das Verweigern einer Benennung von klaren Ursachen und Lösungsrezepten störte die staatlichen Behörden bei diesem an Originalschauplätzen und weitgehend mit Laien gedrehten impressionistischen Film, der formal an die Frische der Nouvelle Vague erinnert.

Der bekannteste "Kellerfilm" ist aber zweifellos Frank Beyers "Spur der Steine" (1966). Im Stil eines Western erzählt Beyer darin von dem von Manfred Krug großartig gespielten Zimmermann Hannes Balla, der mit seiner Truppe effizient arbeitet, aber nicht viel von den bürokratischen Regeln der Planwirtschaft hält. Unweigerlich kommt es so zum Konflikt zwischen Balla und dem neuen Parteisekretär, der so wenig wie die Schilderung der Arbeit auf einer Großbaustelle den Wunschvorstellungen der Partei entsprach.

25 Jahre wurden diese Filme im Staatlichen Filmarchiv der DDR gelagert und blieben selbst für die filmhistorische Forschung gesperrt. Erst mit der Wende 1989 wurden sie aus dem Keller geholt, teilweise vervollständigt und rekonstruiert und auf der Berlinale 1990 einem breiten Publikum zugänglich gemacht.

Quellen:
Christen, Thomas, Vom Neorealismus zu den Neuen Wellen. Filmische Erneuerungsbewegungen 1945 – 1968, Schüren Verlag 2016, S. 362-383

Schweinitz, Jörg, Kellerfilm/Regalfilm, in: Reclams Sachlexikon des Films, Reclam 2007

Trailer zu "Spur der Steine"