Crossing Europe 2010: Modellhafte jugoslawische Gewaltstudien und deutsche Kapitalismuskritik

23. April 2010
Bildteil

Ein kroatischer und ein serbischer Film setzten sich beim Linzer Crossing Europe Filmfestival mit Gewalt und Massakern im Jugoslawienkrieg auseinander. – Und beide Regisseure betonten, dass es ihnen nicht um die Rekonstruktion historischer Ereignisse, sondern um exemplarische Studien der Wurzeln der Gewalt geht. Zu überzeugen vermochte aber auch der deutsche Wettbewerbsbeitrag "Eine flexible Frau".

Sowohl die kroatischen Regisseure Zvonimir Juric und Goran Devic in "Crnci – The Blacks" als auch der Serbe Vladimir Perisic in "Ordinary People" erzählen kleine Geschichten. Beide Filme beschränken sich auf eine überschaubare Soldatentruppe im Kriegseinsatz. Weder Vor- noch Nebengeschichten gibt es und die Handlung ist auf maximal einen Tag beschränkt. In beiden Filmen sind ältere Männer die treibenden Kräfte, die Jüngere zur Gewalt zwingen oder zumindest drängen, und beide Filme schließen mit dem Bild von Leichen.

"Crnci – The Blacks" beginnt mit der nächtlichen Fahrt einer Handvoll Soldaten in einen Wald, wo sie in einem verminten Feld gefallene Kameraden bergen und gleichzeitig die Tat rächen wollen. Handkamera und beunruhigendes Sounddesign, bald noch gesteigert durch Donnergrollen und heftigen Regen machen die Anspannung erfahrbar, denn bald verliert der Trupp die Orientierung und zerfleischt sich schließlich gegenseitig.

Erst jetzt bringen Juric und Devic mit einer Rückblende Licht in die direkt vorausgehenden Ereignisse, machen in diesem ganz in das Schwarz der Uniformen und das dunkle Grün des Waldes und später das kalte Weiß einer Garage, in der Massaker verübt wurden, getauchten Film die Wurzeln der eskalierenden Gewalt sichtbar: Zwar herrscht schon Waffenstillstand, doch den via Radio übertragenen Tod eines Kameraden will der alte Anführer der radikalen Miliztruppe "Die Schwarzen" nicht ungesühnt lassen und zwingt seinen Trupp zu dieser tödlichen Fahrt.

So wie es in diesem düsteren kroatischen Kriegsdrama keine Helden gibt, so wenig gibt es sie im serbischen "Ordinary People". Vom Weckruf mit anschließendem Ankleiden und Frühstück über Ausrücken mit einem Bus und Erschießungen auf einem Bauernhof bis zur Rückkehr in die Kaserne begleitet Vladimir Perisic in langen, vorwiegend statischen distanzierten Einstellungen einen Trupp Soldaten. Weder Erklärungen werden angeboten noch Hintergründe beleuchtet.

Im Mittelpunkt steht der etwa 19-jährige Dinzo, der jüngste der Truppe und dem Titel entsprechend ein ganz normaler junger Mann, der sich dem Schussbefehl zunächst widersetzen will, dann aber doch gehorcht und damit zum Täter wird. Im Gegensatz zur Düsternis von "Crnci – The Blacks" steht hier die äußere Idylle des sommerlichen Bauernhofs, in der sich das Entsetzliche abspielt, während die Blätter im Wind weiterhin ruhig rauschen, höchstens ein Vogelschwarm auffliegt. Ganz ohne Musik, aber mit einer eindringlichen Tonkulisse, die am Beginn zusammen mit dem Schnitt die Härte und Unerbittlichkeit des Militärwesens unterstreicht und später bestechend mit Stille und Naturgeräuschen arbeitet, zeichnet Perisic emotionslos und kühl, aber gerade dadurch eindringlich ein exemplarisches Bild von Autorität, Gehorsam und Mitläufertum, die erst solche Kriegsverbrechen ermöglichen.

Ähnlich kühl blickt die Deutsche Tatjana Turanskyj in "Eine flexible Frau" auf die heutige westliche Wirtschaftswelt. In realistischer und chronologischer Inszenierung würde die Geschichte vom Fall einer arbeitslosen 40-jährigen Architektin leicht zum peinlichen Rührstück. Turanskyj umgeht diese Gefahr, indem sie einerseits nur fragmentarisch erzählt, nicht Entwicklung, sondern nur einzelne Momente zeigt, andererseits diesen Momenten in ironischer Überhöhung exemplarischen Charakter verleiht.

Konsequent entlarvt sie Floskeln und leere Worthülsen von Jobberatern und Chefs, aber auch das Verhalten des privaten Umfelds. Emotional fern bleibt einem die Protagonistin, wird bewusst als Modell mit exemplarischem Charakter vorgeführt, wobei die Kälte des Films wiederum perfekt mit der Kälte der geschilderten Welt und der dort herrschenden, aufs Äußerliche reduzierten Umgangsformen korrespondiert.