Crossing Europe 2008: Klein, aber fein

28. April 2008
Bildteil

Ein Programm mit handverlesenen Filmen hat die Direktorin des Linzer Filmfestivals Crossing Europe Christine Dollhofer im Vorfeld angekündigt. Am Ende darf man behaupten, dass dieses Versprechen gehalten wurde, dass es zwar nicht große Meisterwerke zu entdecken gab, aber doch eine ganze Reihe interessanter Filme, die neugierig auf die nächsten Werke der Regisseure machen. - Mit Isild Le Bescos "Charly" wurde zum Abschluss ein würdiger Film mit dem Crossing Europe Award ausgezeichnet, aber mit gleichem Recht hätten auch einige andere Filme diesen Preis davontragen können.

Dem Anspruch Plattform für den jungen und innovativen europäischen Autorenfilm zu sein wurde Crossing Europe 2008 vollauf gerecht. Da gab es keine Kommerzware, sondern durchwegs Filme mit eigenem Stil, die nicht auf Effekte zielen, sondern an einer Geschichte und den Menschen interessiert sind. Flops fehlten freilich nicht. In schick gestylten Bildern verliert sich beispielsweise der Italiener Marco Simon Puccioni, der in "Riparo – Shelter" ein verblasenes Karussell der Eifersucht aufzieht und so nebenbei Migration, Auslagerung von Produktionsstätten und ein paar weitere Themen antippt, aber nichts wirklich entwickelt oder verdichtet.

Als richtig missglückt muss man wohl auch "Andalucia" bezeichnen, in dem sich Alain Gomis in einem konfusen Strom aus Realität, Fantasien und Erinnerungen eines algerischen Migranten verliert. – Einzig eine Szene, bei der sich Gomis der TV-Übertragung des WM-Semifinalspiels Brasilien gegen Uruguay 1970 in Mexiko bedient, bleibt haften: Wie Pele den Pass von Tostao durchlaufen lässt und damit den Tormann düpiert, dann aber leider am Tor vorbeischießt, ist unvergesslich.

Filmisch weit erfreulicher war da schon "Diorthosi – Correction" des Griechen Thanos Anastopoulos. Mit großer Stimmig- und Geschlossenheit folgt Anastopoulos in seinem leisen Film einem nach vier Jahren aus der Haft entlassenen Mann durch ein mit dokumentarischem Gestus eingefangenes Athen und beobachtet ihn bei der langsamen Annäherung an eine Frau und ihre etwa 10jährige Tochter. – Geschickt übernimmt der dialogarme Film die Beobachterposition sowohl des Mannes als später auch die des Mädchens und ihrer Mutter und baut Spannung auf, indem er den Zuschauer sowohl über das Vergehen des Mannes als auch über die Beziehung zur Frau lange im Dunkeln lässt. Mit Fortdauer – etwas zäh ist in der Langsamkeit und im dauernden Schweigen vielleicht der Mittelteil – bettet Anastopoulos das Private dabei stärker in das Öffentliche ein, zeigt gerade am Privaten die konkreten Folgen von Nationalismus und fragt zwingend, ob Vergebung möglich ist und es eine zweite Chance geben kann.

Formal ähnlich überzeugend ist das Kinodebüt von Joanna Hogg. Mit großer Stilsicherheit deckt die Engländerin in "Unrelated" in langen statischen, distanzierten und genau kadrierten Einstellungen die schwelenden Spannungen zwischen Erwachsenen und Teenagern, die den Sommer in einem Landhaus in der Toskana verbringen, langsam auf und kontrastiert diese inneren Konflikte geschickt mit der atmosphärisch dicht eingefangenen von Aufenthalt am Pool, Shoppen in Siena, Herumhängen im Garten und Abendessen im Haus geprägten lethargischen Urlaubsstimmung. Statt Emotionen durch schnelle Schnitte hineinzupressen und aufzupuschen, entwickelt sich die Spannung aus der Ruhe, aus der Ereignislosigkeit und dem Stillstand. Wie unter einem Mikroskop blickt man auf eine Gesellschaft in die Bewegung kommt, als mit Anna eine 40jährige Frau eintrifft, die lieber Kontakt zu den Teenagern sucht als die Zeit mit ihren Altersgenossen zu verbringen. Wermutstropfen ist, dass es gegen Ende nicht zu einer Steigerung, sondern zu einem Abflachen der Spannung kommt.

Ein interessantes Programm bot in Linz aber nicht nur der Wettbewerb, sondern auch das "Panorama", in dem beispielsweise Alexander Sokurovs "Alexandra" oder Alexey Balabanovs "Gruz 200" zu sehen waren. Legt Balabanov einen harten und pechschwarzen Thriller vor, bei dem eine Mordgeschichte dazu dient ein düsteres Bild von der völligen moralischen Zerrüttung der untergehenden Sowjetunion des Jahres 1984 zu zeichnen, setzt sich Sokurov höchst eigenwillig und elegisch mit dem Schrecken des (Tschetschenien)Krieges auseinander, indem er eine alte Frau, die ihren als Elitesoldat dienenden Enkel besuchen will, durch ein Militärlager spazieren sowie sich den Anordnungen der Offiziere widersetzen lässt und ihre menschliche Wärme und Herzlichkeit in Kontrast zu militärischen Ritualen und mechanischem Waffentraining stellt.

Und dann gab es natürlich noch die neue Reihe "Nachtsicht" mit europäischen Horrorfilmen, bei denen das Blut in Strömen floss, mit Scheren und Spiegelsplittern Menschen penetriert ("A l´intérieur") und mit Kreissägen zerteilt und zum Essen vorgesetzt ("Frontière(s)") wurden. So interessant dieser Blick auf eine andere Sparte des aktuellen Filmgeschehens aber ist, so sehr stellt sich doch auch die Frage, ob man solchen sadistischen Splatterfilmen, die die Scheußlichkeiten der "Saw"- und "Hostel"-Serie bei weitem übertreffen, und im Fall von "Frontière(s)" auch die realen Grausamkeiten des Nationalsozialismus verharmlosen, eine Plattform durch Präsentation im Rahmen eines Festivals bieten soll. – Doch von solchen Fragestellungen einmal abgesehen ist "Crossing Europe" inzwischen als spannender Ort für interessante und vielfältige Entdeckungen aus dem Kalender der europäischen Filmfestivals kaum mehr wegzudenken.