Com&Com - La réalité dépasse la fiction

Das Kunsthaus Centre Pasquart präsentiert vom 17. Januar bis 14. März 2010 die erste Retrospektive von Com&Com (Marcus Gossolt / Johannes M. Hedinger). Das multidisziplinär arbeitende Künstlerduo, das 2001 mit der Einladung zur Biennale Venedig durch Harald Szeemann international bekannt wurde, zeigt rund 20 Werkgruppen aus allen Schaffensphasen. Neben Arbeiten aus dem vielschichtigen Oeuvre der letzten 14 Jahre, werden erstmalig naturbezogene Skulpturen und Installationen aus dem Werkkomplex "Postironie" zu sehen sein.

2009 befreit sich das Künstlerduo Com&Com (Marcus Gossolt / Johannes M. Hedinger) mit dem Verfassen des ersten postironischen Manifest nach dreizehn Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit von allem Bisherigen, um Neues zu ermöglichen. Die bewusst gewählte Zäsur dient Ihnen dazu, ihre künstlerische Arbeit zu überdenken und inhaltlich und formal neu auszurichten: Com&Com hat mit den Methoden der Ironie und Provokation gebrochen. Es ist der Beginn einer neuen Schaffensphase mit verändertem Kunstverständnis: Die Wiederentdeckung der Schönheit im Alltag und im Einfachen steht ebenso im Zentrum wie die Huldigung des Authentischen, der Kreativität und der Einzigartigkeit jedes Einzelnen. Wichtige Aspekte dieser „postironischen“ Werke und Aktionen sind Neugier, Nachhaltigkeit, Social Responsibility und Sinnstiftung (Com&Com). Mit dem Beginn dieser vierten Schaffensphase ist der Zeitpunkt für eine erste Retrospektive gekommen.

Im Frühwerk (1997 bis 2002) stehen Marketing- und Brandingstrategien, Rollenspiele und Selbstinszenierung des Duos im Vordergrund: Kunst und Kommerz, Labeling, Parodie und Zitate mit Referenzen zum Alltag sind ihre Instrumente. Multimediale Ironisierung und Dekonstruierung von Themen wie Heimat, Mythos, Werbung, Pop und das Starsystem mittels Fiktion und Manipulation wie etwa bei "C-Files: Tell Saga" (2000) stehen im Zentrum.

2003 bis 2006 folgen Projekte, die über den Kunstkontext hinausgehen und die Gesellschaft selbst als Partner aufnehmen. Im Vordergrund stehen gezielte Partizipations-, Provokations- und Aufmerksamkeitsstrategien, wobei einzelne Mittel der vorangehenden Schaffensphase wie das Branding beibehalten werden. Mit Projekten wie "Mocmoc" (2003) erkunden sie neue Formen der Kunst im öffentlichen Raum: Identitätsstiftung mittels sozialer Plastik, die auf einem erweiterten Kunstbegriff basiert und sich u.a. die Legendenbildung zunutze macht.

In diesen beiden ersten Schaffensphasen, in der das Konzeptuelle im Vordergrund steht, entstehen zahlreiche Arbeiten ausserhalb des Kunstraumes und keine singulären Kunstwerke im herkömmlichen Sinne. Dies ändert sich in der Übergangsphase zwischen den Jahren von 2005 bis 2008. Nun tritt die visuelle Ästhetik in den Vordergrund und das Duo beginnt sich mit dem Kunstwerk als solchem zu beschäftigen. Auf der Suche nach Bildern realisieren sie in einem ersten Schritt den aufwändig produzierten Film "The Big One" (2005). Von diesem ausgehend, entstehen in der Folge die ersten "klassischen" Kunstwerke in Form von Gemälden, Fotografien und Installationen. Oder mit dem Video "Google Earth" (2008) erkunden sie die Ästhetik der virtuellen Landschaft. Die Künstler haben sich von der Konzeptkunst, der Ironie und der Provokation gelöst und sich auf die Schönheits- und Sinnsuche begeben, wobei sie der ihr bisheriges Werk verbindenden Identitätssuche weiterhin verpflichtet bleiben.

Es folgt 2009 die völlige Neuausrichtung des Künstlerduos, dessen Label Com&Com zu Beginn noch für Commercial Communication stand. Für Projekte wie "Postirony" (2008) und "Making Ideas" (2009) nutzen sie zwar weiterhin Kollaborations- und Partizipationskonzepte. Doch mit ihrem neuen Kunstverständnis auf der Suche nach Schönheit und Sinn entstehen überraschende neue Kunstwerke. Ganz im Sinne eines Neuanfanges erkunden sie in dieser postironischen Phase die Thematik von Mensch und Natur, kommen zur Zeichnung und Skulptur zurück und stellen gleichzeitig alte und aktuelle grundlegende künstlerische Fragen. Während die Zeichnungen in Bleistift mit figurativ erkennbaren Motiven minimale Gesten festhalten und gedanklichen Skizzen entsprechen, versinnbildlichen die Holz- und Keramikskulpturen "Ender" (2010) anthropomorphe Formen im Raum. Bisher wohl aber am radikalsten ist ihr Statement auf die Frage nach Sinn und Schönheit mit der jüngsten Installation "Baum" (2010) im grössten Raum des CentrePasquArt. Nach den aufwändig produzierten fiktiven und virtuellen Geschichten der vorangehenden Jahre findet Com&Com überraschend zur Natur und zur Realität zurück: La réalité dépasse la fiction (die Realität steht über der Fiktion).

Die Ausstellung von Com&Com ist bereits die dritte Zusammenarbeit des CentrePasquArt mit dem Künstlerduo. Vorangegangen waren Beteiligungen im Rahmen der thematischen Gruppenausstellungen "Heroes" (2005) und "Branding" (2006). Die bevorstehende Einzelausstellung ist die grösste und umfangreichste Präsentation, die das Werk von Com&Com bis dato erfahren hat. Es werden zentrale Werke aus allen Schaffensphasen in Dialog gebracht, Entwicklungslinien aufgezeigt und neue Werke präsentiert. In einem separaten Raum – einer Art "Wunderkammer" – wird zudem erstmals anhand einer Auswahl ein Einblick in ihr eigenständiges Schaffen vor 1997 sowie einigen Solowerken während der Com&Com-Zeit gegeben. Dolores Denaro

Publikation: Parallel zur Ausstellung erscheint im Niggli-Verlag unter dem Titel: "Lexikon zur zeitgenössischen Kunst von Com&Com" ein umfangreicher Oeuvrekatalog mit ca. 460 Seiten, rund 1200 Abbildungen, 30 Essays und 200 Kurzartikeln von über 100 AutorInnen. (ISBN 978-3-7212-0-734-7).

Com&Com - La réalité dépasse la fiction
17. Januar bis 14. März 2010